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Paul Coutinho

Das Alter, die Furcht und die Liebe

Glauben Sie wirklich, Gott interessiert Sich für Ihre Sünden?

Reshad Feild mit Scheich Suleyman Dede in Kalifornien 1975.

Foto: Fotolia / De Visu

Bestimmt waren Ihre Jugendsünden die interessanteren, jetzt verbleiben Ihnen die eher langweiligen. Und glauben Sie wirklich, dass Gott an denen interessiert ist?

ines meiner geistlichen Lieblingsämter ist das für Betagte, und eines meiner bevorzugten Themen im Gespräch mit ihnen ist, dass Gott unser Auftauchen erwartet, damit Er mit uns angeben kann. Daran glaube ich fest. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie viele ältere Menschen ich in den Tod begleitet habe, die fröhlich in der Erwartung der Gegenwart Gottes und des Freudenfestes starben.

 

Gott kümmern die kleinen albernen Dinge nicht, die wir anstellen

Manchmal fordere ich diese Menschen auch heraus, indem ich sie nach ihren gebeichteten Sünden befrage. Einmal fragte ich einen älteren Mann, ob die Sünden seiner Jugend dieselben gewesen seien, wie diejenigen, die er im Alter beichtete. Er antwortete: »Ja, die meisten schon.« Und ich sagte: »Bestimmt waren Ihre Jugendsünden die interessanteren, jetzt verbleiben Ihnen die eher langweiligen. Und glauben Sie wirklich, dass Gott an denen interessiert ist?« Gott kümmern die kleinen albernen Dinge nicht, die wir anstellen. Ich frage mich, ob Gott vielleicht auch an dem großen Guten, was wir so tun, gar kein Interesse hat. Gott wartet einfach darauf, dass wir aufkreuzen!

Ein anderer älterer Herr klagte, dass er sich fürs Sterben bereit mache, aber nicht genug dafür getan habe, um den Himmel zu verdienen. In Tat und Wahrheit hatte er viele Jahre damit verbracht, Menschen näher zu Gott zu bringen. Er hatte Heiligenbildchen an ihren Arbeitsplätzen hinterlassen und seine Gespräche hatten sich immer um den Glauben an Jesus gedreht und darum, ihn zu deren persönlichem Retter zu machen. Er hatte viel wohltätige Arbeit geleistet. Aber nun, da er alt und zu schwach war, sein Haus noch zu verlassen, konnte er all die guten Werke nicht länger tun, und das beunruhigte ihn.

Die einzige Liebe, die wir anderen und Gott geben können, ist die Liebe, die wir uns erlaubt haben, selbst entgegenzunehmen.

Geben Sie Gott die Chance, Sie zu lieben!

Auf der Stelle sagte ich ihm, er solle aufhören, Gott zu lieben. Er schaute mich verdutzt an, und ich glaube, er war kurz davor, mir zu sagen, ich solle gehen. Aber ich fuhr fort, dass er nun für den Rest seines Lebens Gott die Chance geben solle, ihn zu lieben. Ich hatte den Verdacht, dass sein Eifer, Gott zu lieben, ihm oftmals in die Quere gekommen war, all die Liebe zu empfangen, die Gott für ihn hegte. Ich erklärte, dass die einzige Liebe, die wir anderen und Gott geben können, die Liebe sei, die wir uns erlaubt haben, selbst entgegenzunehmen. Der Mann hatte sein ganzes Leben damit zugebracht, sich anzustrengen, Gutes zu tun, um im Himmel Verdienste anzusammeln.

Ich sagte, dass er dem älteren Bruder in Jesu Gleichnis vom verlorenen Sohn ähnelte, der zum Vater sprach: »Siehe, so viele Jahre diene ich dir und habe dein Gebot noch nie übertreten.« Doch als sein Vater antwortete: »Mein Sohn, du bist allezeit bei mir, und alles, was mein ist, das ist dein«, wusste der Sohn nicht, wie er es annehmen sollte – so beschäftigt war er damit, sich abzuplagen, Gutes zu tun und Meriten anzuhäufen.

Da wir noch nicht gestorben sind, können wir uns ruhig erlauben, das Geschenk des Lebens zu feiern.

Nach einer gewissen Lebenszeit – insbesondere, wenn wir ein gewisses Alter erreicht haben – macht es keinen Sinn, Gott mehr lieben zu wollen durch die guten Taten, auf die wir seit früheren Jahren gesetzt haben. Irgendwann haben wir das Gefühl, nicht genug getan zu haben, aber auch nicht noch mehr vom Gleichen tun zu können. Warum also nicht einfach etwas ändern? Warum nicht den Rest unseres Lebens damit verbringen, Gott zu erlauben, uns zu lieben? Wahrscheinlich wird Gott sehr erleichtert sein, wenn wir aufhören, uns so anzustrengen und uns einfach für Seine Liebe öffnen.

 

Erlauben wir uns ruhig, das Geschenk des Lebens zu feiern

Der verlorene Sohn in der Geschichte wusste, wie er das Leben genießen und die Geschenke und den Segen seines Vaters annehmen konnte. Tatsächlich war es die Liebe für das Leben, die ihn in die Welt hinausgeführt hatte, sodass er sich verirrte und aus seinem Leben ein Schlamassel machte. Aber er ging das Risiko ein, er verlief sich – und er kehrte nach Hause zurück, weil er wusste, dass sein Vater ein gerechter, barmherziger, liebender Mann war.

Haben Sie Angst vor dem Sterben? Grübeln Sie über das Leben nach dem Tod? Sorgen Sie sich noch immer wegen jenes Jüngsten Gerichts? Woher haben wir diese Vorstellungen vom Leben nach dem Tod, die so viel Furcht und Schuldgefühle verursachen? Wer hat uns diese Bilder überliefert?

Wenn jemand den Buddha auf das Leben nach dem Tod ansprach, wollte dieser wissen, ob es sich bloß um eine philosophische Frage handle oder ob der Fragesteller es wirklich zu wissen wünsche. Falls er es wirklich wissen wollte, pflegte der Buddha zu antworten, man könne den Tod für ihn jederzeit arrangieren, dann werde der Fragesteller über das Leben nach dem Tod mit Sicherheit Bescheid wissen.

Da wir noch nicht gestorben sind, können wir uns ruhig erlauben, das Geschenk des Lebens zu feiern.

© Paul Coutinho 2012
Deutsche Übersetzung © Chalice Verlag

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