Henry Corbin und die orientalische Weisheit
Pionierwege des Denkens zwischen Philsophie und Spiritualität
Der französische Islamwissenschaftler Henry Corbin (1903–1978) gilt als einer der brillantesten und einflussreichsten Herausgeber und Kommentatoren von Werken aus der islamischen Geistesgeschichte und als wichtiger Wegbereiter eines aufgeschlossenen interreligiösen Dialogs. Dabei geht oftmals vergessen, dass er sich selbst primär als Philosophen verstand, dem es bei seinen Studien um ein umfassenderes Anliegen ging. Sein besonderes Interesse galt Erkenntnisweisen, die im Laufe der westlichen Philosophiegeschichte und im Zuge eines überspannten Rationalismus zusehends an den Rand gedrängt oder gänzlich negiert worden waren: der mystisch-intuitiven einerseits und der imaginativen beziehungsweise »imaginalen« (ein von ihm geprägter zentraler Begriff) andererseits.
Corbin war überzeugt davon, dass sich das westliche Bewusstsein in Einseitigkeiten, Verengungen und Sackgassen hineinmanövriert hat, aus denen uns einzig eine wertschätzend kritische Auseinandersetzung mit alternativen Ansätzen führen kann. So machte er sich verdient um neue Zugänge zur Philosophie (Martin Heidegger) und Theologie (Karl Barth) sowie zu Perspektiven östlicher Weisheit (zunächst indischer, dann vor allem persischer, aus dem Zoroastrismus wie aus dem Sufismus), der Tiefenpsychologie (C.G. Jung) und verschütteter Traditionen des Westens selbst (Gnosis, Gralsmythos und Sophiologie). Dabei lieferte er kreative Antworten auf die Grundfrage, wie wir in unserer postmodernen Epoche mit vormodernen Weltanschauungen sinnvoll umzugehen haben.
Insofern darf Henry Corbin als Denker des »Integralen« im Sinne Jean Gebsers [/] oder Ken Wilbers [/] verstanden werden, dem es darum ging, die zersplitterten Perspektiven unserer Zeit in eine heilsame und zukunftsfähige Zusammenschau zu führen.
Mit dieser ersten deutschsprachigen Monografie über den weltbekannten Orientalisten legt Mathias Bänziger ein ebenso fundiertes wie packendes Sachbuch vor, das den pionierhaften Lebens- und Denkweg von Henry Corbin gut verständlich nachzeichnet. Damit schließt er eine jahrzehntelange, vielfach beklagte Lücke in der hiesigen Islamwissenschaft und Religionsgeschichte und leuchtet eine Geistestiefe aus, die uns in unserem eigenen Suchen inmitten der späten Postmoderne zu inspirieren vermag.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Einleitung
Zum Leben und Werk von Henry Corbin
Zum Rahmen dieser Arbeit
—Wie Corbin verstanden wird
—Leitfragen zum Philosophie- und Spiritualitätsverständnis
—Das Integrale und die Frage nach dem Paradigma
—Gliederung in vier Teile
Teil 1
Auswege
aus Sackgassen durch hermeneutische Besinnung
Tendenzen der Zwischenkriegszeit in Europa
Im Kontext der nonkonformistischen Jungintellektuellen Frankreichs
Ein Theologie treibender Philosoph
Protestant in existenzieller Auseinandersetzung
Wie Karl Barth nach Frankreich kam
Theologische Skizzen in der Zeitschrift Hic et nunc
Geschichtlichkeit und (glaubende) Existenz als Grundthema
Martin Heidegger: Ein neuer Blick in der Philosophie
Wie Heidegger nach Frankreich kam
Qu’est-ce que la métaphysique? (Was ist Metaphysik?)
Die hermeneutische Verankerung des Philosophierens
Luther und Hamann: Theologische Wurzeln der Hermeneutik
Fazit 1: Das Ungenügen des rationalen Paradigmas
Teil 2
Heimwege
im Zeichen des mystischen Orients
Wegbereiter für das Arbeitsfeld zwischen Philosophie und Mystik
Das Vorzeichen zum Gesamtwerk: »Blick in Richtung Orient«
Eindrücke aus den ersten Publikationen zu Suhrawardı
Absetzbewegungen und Positionierungen
Heideggers philosophische Wahl: Horizonte jenseits
Barths theologische Enge: Appellation und Enttäuschung
Heschels personalistische Religionsphilosophie: unio sympathetica
Berdjajews freigeistige Art: Theosophie und Gnosis
Grundlegungen für das Studium iranischer Philosophie
Aufnahme in der Wahlheimat Iran
Zum Illuminationsphilosophen (ischraqi) geworden
Fazit 2: Die Wiedererlangung der mentalen Tiefe und die
universelle Vision
Teil 3
Pionierwege
mit Brennpunkt Eranos
Vom Iran zu Eranos
Corbin als Fackelträger einer hierologischen Religionswissenschaft
Persönliche und ideelle Netzwerke zu Eranos
Die Zeit von Eranos – eine aktualisierende Zugangsweise
Vom Werden des Eranos: Eranos aus seiner Zeit expliziert
Eranos-Zeit: Was Eranos expliziert
Am runden Tisch von Eranos und das sophianische Zeitalter
Expeditionen in den esoterischen Islam
Auftakt mit Suhrawardi und Richtungsangabe hin zur
Fundamentalangelologie
Die Ismailiten – Vorstöße zur islamischen Gnosis par excellence
—Die zyklische Zeit als Grundmuster der spirituellen Exegese (ta’wil)
—Talem eum vidi, qualem capere potui: Das Herzstück des
Theophaniegedankens
Avicenna aus der Vergangenheit befreit
—Die umfassende Bildung eines Philosophen des Geistes
—Die Verortung der avicennischen Geste im gnostischen Iran
Der Sufismus als höchste Form des geistigen Islams
—Vorwort zum universellen Sufismus von Hazrat Inayat Khan
—Der Weg Ibn ‘Arabis und die esoterische Situation in Ost und West
—Die fedeli d’amore oder: Sufismus und Sophia
—Die Orientierung des Nordpols und die drei Bewusstseinsebenen
Kulmination in der iranischen Schia
—Zum Kontext: Die Schia im Iran
—Die philosophische Situation der Schia
—Die Realität des Jenseits und gelebte Spiritualität im Angesicht
des Todes
—Mulla Sadra und die Frage nach der prophetischen Philosophie
—Der integrale Humanismus und das Mysterium des Menschen
—Corbin, ein Schiit? Versuch einer konfessionellen Verortung
Fazit 3: Postmoderne Wellen und Aspekte des Integralen
Teil 4
Mysterienwege
im Vermächtnis von Henry Corbin
Die Überblickswerke: Neuartige Einblicke in die islamische Ideenwelt
Eine islamische Philosophiegeschichte im Kontext traditionalen Bewusstseins
En islam iranien: Das Werk eines spirituellen Gastes im iranischen Universum
Suhrawardi: Ein fast vollendetes Lebenswerk
Im Geist der Templer: Die Université Saint Jean de Jérusalem
Hagia Sophia als Gralstempel – Eranos-Kreis als Tafelrunde
Emanuel Swedenborg als wichtiger Exponent christlicher Esoterik
Die Académie impériale iranienne und die Aufgabe komparativer Philosophie
Die Anlage der USJJ: Spirituelle Ritterschaft und traditionelle Wissenschaft
Das imago templi als verbündende Norm abrahamitischer Ritterschaft
Zum Fortgang der USJJ mit und nach Corbin
Mundus imaginalis: Das alles verbindende sophianische Glied
Hinweise aus der Frühzeit der 1930er- und 40er-Jahre
Eranos in medio mundi pro mundo mediatrix
Frau Erde ist ein Engel
Die kreativen Imaginationen bei Ibn ‘Arabi
Die sophianischen Imaginationen bei Jacob Böhme
Mundus imaginalis I: zu einer integraleren Wirklichkeitskonzeption
Mundus imaginalis II: Hermeneutik und der Kampf für
die Weltseele
Fazit 4: Rückschritt oder ungeahnte Perspektiven?
Literaturverzeichnis (32 Seiten)
Werke von Henry Corbin
Sekundärliteratur
Über den Autor
Register (39 Seiten)
ISBN 978.3.942914.833
Softcover / Broschur | 852 Seiten | 30 Abbildungen | 45 Euro
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ISBN 978.3.942914.857
Hardcover mit Lesebändchen | 852 Seiten | 30 Abbildungen | 58 Euro
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