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John G. Bennett

Der Augenblick des vollkommenen Handelns

Über die Wirklichkeit Gottes

Foto: Chalice Verlag

Ein Ausschnitt aus dem Buch Die sieben Linien der spirituellen Arbeit

ir stecken in Schwierigkeiten, wenn wir Gott als Person sehen, die etwas besitzen kann und Beziehungen zu anderen Personen hat […] Wir müssen davon loskommen, die Idee Gottes auf eine Person zu begrenzen, aber nicht so weit gehen, alles zu verwerfen, indem wir sagen, Gott sei alles.

Und noch etwas möchte ich dazu sagen: Es gibt nicht Gott und die [spirituelle] Arbeit, wie es einen Gärtner und einen Garten gibt. Das Wichtigste ist das, was wir »Tun« genannt haben. Ich hoffte, und es ist sicher auch so, dass Sie in Bezug auf das Tun etwas aus eigener Erfahrung verstanden haben: Tun ist ein Schnittpunkt, das Zusammenkommen des Tuenden und der Tat, des Handelnden und der Handlung, und zwar bis zu dem Punkt, an dem der Unterschied völlig verschwindet.

In unserer gewöhnlichen Erfahrung gibt es eine Unterscheidung zwischen »ich« und dem, was ich tue. Dieser Unterschied muss aufkommen, um absichtsvoll handeln zu können und von unserer Mechanisiertheit wegzukommen. Dann nähern sie sich einander wieder an und treffen an dem Punkt zusammen, den einige von Ihnen erfahren haben, wo Sie tatsächlich verschwinden. Dieses Verschwinden seiner selbst, das die Nähe der vollkommenen Handlung anzeigt, ist das wahre Geheimnis des Verstehens. Aber die Vorstellung, unser Ich müsse irgendwie entfernt werden und wir müssten als vom Selbst befreite, innerlich vollständig leere Wesen in der Luft hängen, ist damit nicht gemeint. Es ist das, was geschieht, wenn wir uns einer vollendeten Handlung annähern und spüren, dass es in diesem Augenblick kein »ich« und kein »ich tue es« gibt.

Dies ist der wahre Schlüssel zur Gotteserkenntnis und zum Verständnis der außergewöhnlichen letzten Aufforderung, die Jesus seinen Jüngern gibt, nachdem er ihnen im ersten Teil der Bergpredigt den Pfad zur Vollkommenheit gezeigt hat: »Seid vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist.« Wenn Sie sich der Vollkommenheit im Handeln nähern, werden Sie sich Gott nähern; und wenn Sie das vollkommene Handeln erreichen, werden Sie deshalb Gott sein. Das eine ist nicht vom anderen zu trennen. Darum gefiel mir das, was jemand von Ihnen kürzlich über das Bild vom Bergsteigen sagte: Es genügt nicht, dem Bergsteiger zu vertrauen, weil wir in Wirklichkeit dem vertrauen, was getan wird. Der Harmonie, der Richtigkeit in der Beziehung zwischen Bergsteiger und Berg, vertrauen wir, und diese Richtigkeit ist Gott.

Wir bewegen uns in eine gewisse Richtung, wenn wir Gott »das vollkommen Richtige« nennen. Wir können sagen, das Richtige ist etwas Abstraktes. Aber da ist auch dieser Sinn des Vertrauens, und nicht nur des Vertrauens, sondern auch ein Gefühl dafür, dass man behütet wird. Für mich steht es im Mittelpunkt unseres ganzen Verständnisses von der Arbeit. Wenn es nicht dieses Gefühl – ja diese Gewissheit – gäbe, dass etwas aus der Arbeit in uns überströmt, wäre alles, was ich sagte sinnlos, weil dann die Arbeit nur Aktion wäre, und es diese andere Seite nicht gäbe.

Aber wie ich schon oft gesagt habe: Wegen der besonderen Umstände unserer Existenz in diesem materiellen Körper – doch mit dem Wissen, dass wir nicht dieser Körper sind – und dadurch, dass unsere Sinne mit einer Welt von materiellen Dingen Umgang haben, können wir nicht anders, als die Personen und Dinge zu unterscheiden und den Täter und die Tat zu trennen. Etwas von dem, was ich mir für Sie alle am meisten gewünscht habe, ist, dass Sie während der Zeit hier [in Sherborne House] einen wirklichen Geschmack von der Aufhebung der Trennung bekommen. Denn wenn Sie diesen Geschmack einmal haben und wissen, wie das ist, dann kennen Sie Gott. Sie wissen nichts über Gott, Sie glauben nicht an etwas, Sie kennen Gott.

Gott ist nicht selbst die Richtigkeit, aber man erkennt Gott in Seiner Richtigkeit. Ich sage »Er«, – Sie verstehen das – weil unsere Sprache so gemacht ist, da sie uns zwingt, »Er« oder »Es« zu sagen. Wir in der westlichen Welt – in der jüdischen, christlichen und islamischen Tradition – halten uns mehr an die Vorstellung einer Person. Im Fernen Osten ist es das Gegenteil, dort hält man sich ans Unpersönliche, spricht vom Tao oder Dharma. Aber die Wörter »Tao« oder »Gott« beziehen sich auf die gleiche Wirklichkeit, nicht auf zwei verschiedene Realitäten. Es ist einfach die Frage, mit welchem Auge man schaut – dem persönlichen oder dem unpersönlichen –, ob man Gott als Person wahrnimmt oder als Das, Was informiert und transformiert.

Ob wir von Gott als einer Person oder als drei Personen sprechen, ob wir Gott als die Schöpfermacht, das Tao, die Richtigkeit der Welt, das Dharma des Universums bezeichnen, in jedem Fall gebrauchen wir eine Sprache, die durch unsere eigenen Grenzen eingeschränkt ist. Kein Ausdruck sagt genug. Aber ich glaube, dass uns die Erfahrung gegeben wurde zu schmecken, wie es ist, wenn diese Begrenzungen verschwinden und man einfach die Aktion wahrnimmt. Da ist natürlich der Akteur der Aktion und auch die Richtigkeit der Aktion, aber sie sind nicht getrennt voneinander. Der Handelnde als ein getrenntes Ich verschwindet.

Nur wenn Sie anfangen, es in dieser Weise zu sehen, können Sie erkennen, dass alles, was in den verschiedenen Religionen gelehrt wird, tatsächlich ein und dasselbe ist; und wir müssen auf irgendeine Weise einen Weg zu denken und zu sprechen finden, der nicht in Trennung und Gegnerschaft führt. Ich glaube daran, dass in der Zukunft die Menschen imstande sein werden, über all die Verschiedenheiten hinwegzusehen. Wenn man einen Weg, über Gott zu sprechen, wählt und ihn zum Mittelpunkt seines Denkens macht, schließt das unvermeidlich alle anderen aus. Die einzige Sache, von der ich meine, dass sie nicht so exklusiv ist, ist die Arbeit, vorausgesetzt, man kennt sie durch seinen eigenen Geschmack. Uns Menschen ist dies möglich, und das bedeutet, Gott »schmecken« zu können […]

Es ist eine ganz außergewöhnliche Sache für uns Menschen, dass wir diese Möglichkeit haben, der Vollkommenheit nahezukommen. Dies mehr als alles zu wünschen, ist, Gott mehr als alles andere zu wünschen. Wir leben in einer unvollkommenen Welt, und jemand von Ihnen sagte, dass die Arbeit Vollkommenes aus Unvollkommenem schaffen soll. So sehe ich es auch. Gott ist nicht das Unvollkommene der Welt, Gott ist die latente Vollkommenheit. In dem Sinne stimme ich den Menschen zu, die sagen, die Arbeit ist immer und überall da, aber sie ist als Möglichkeit da – in posse, nicht in esse, nicht als etwas Tatsächliches.

Wenn man von Gott als »allmächtig« spricht, sollte man das so verstehen, dass alles möglich ist, und nicht, dass alles gegenwärtig ist, und auch nicht, dass Gott eine mächtige Kraft sei, die Unvollkommenes mit Gewalt umwandeln kann. Wenn wir anfangen wollten, das zu glauben, müssten wir auch sagen, Er sei ungerecht. Gott bedeutet die Möglichkeit zur Vollkommenheit, die in allem liegt […]

Für mich ist es so, dass Gott nicht eine Person ist, sondern mehr, nicht eine Handlung, sondern mehr, auch nicht ein Ideal, sondern mehr als das, weil es um eine Ganzheit und Einzigartigkeit geht, die unser Verstand nicht fassen kann. Wir denken immer, dass Gott etwas tut. Wir begannen, indem wir sagten, Gott sei der Sahib, der Herr und der Eigner des Gartens. Das ist wahr, aber Er ist auch die Schönheit des Gartens. Er ist seine Anziehungskraft. Es ist nicht die Schönheit Gottes, sondern die ganze Vollkommenheit, die uns anzieht. Dass Gott Sich sorgt, dass Er schön ist, ist von Gott untrennbar; von uns jedoch nicht. Die Schönheit einer Person oder ihre Güte und so weiter lassen sich in Gedanken von ihr trennen, manchmal unglücklicherweise auch in der Tat. Aber es ist sinnlos, so von Gott zu reden, weil wir damit Gott auf unsere Stufe herabziehen. Dies ist unsere Schwierigkeit […]

Es gibt die Arbeit und die Wirklichkeit der Arbeit, die für uns immer stärker wird; und dann ist Gott nicht länger eine Idee, etwas, an das wir glauben sollen, sondern Er ist unsere eigene Wirklichkeit, weil wir einen Geschmack davon haben und wissen, wie es ist, Gott zu sein, wenn wir den Augenblick des vollkommenen Handelns erreichen. Natürlich verderben wir es, und das wissen wir auch; wir verderben es aus dem einfachen Grund, dass wir nicht unseren Egoismus über eine längere Zeit heraushalten können. Er kommt wieder herein und Gott geht hinaus. Oder besser sagt man: Er verbirgt sich wieder… Das Tao hat sich davongemacht… […]

Ich wollte mehr darüber sagen, aber […] ich musste warten, bis eine genügende Anzahl von Ihnen das Erlebnis des »Tuns« gehabt hat und begreifen konnte, was gemeint ist mit »Gott ist Tun«, »Gott ist vollkommenes Tun« und »die Arbeit ist Vollkommenheit im Tun«. Dies schließt alles ein, den Tuenden, die Tat, die Vollkommenheit, die Schönheit – aber es bedeutet nicht, alles sei Gott. Es gibt diese [spirituelle] Arbeit, an der wir teilhaben, und indem wir daran teilhaben, haben wir teil an Gott. Aber wenn der Augenblick der Vollkommenheit kommt, verschwindet der Teil und wir sind Gott. Es ist wörtlich so, wir sind nicht nur Gott gleich. Jener Augenblick ist der Augenblick Gottes. Wenn wir uns mehr von unserem Egoismus befreit haben, kann diese Vollkommenheit länger dauern. Wenn dieses Ego völlig hinausgeworfen werden kann, kann Gott wirklich ganz drinnen sein. Doch dieses Gerede über »drinnen« und »draußen« hat zu viel Trennung in sich. Man sollte besser sagen: Wenn kein Selbst da ist, ist nur Gott da.

© John G. Bennett
Deutsche Übersetzung © Bruno Martin / Chalice Verlag