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Cynthia Bourgeault

Warum die Feminisierung der Dreifaltigkeit nicht funktioniert

Cynthia Bougeault Dreifaltigkeit Feminisierung

Foto: Chalice Verlag

In ihrem wegweisenden Buch zur Dreifaltigkeit interpretiert die Theologin und episkopale Priesterin Cynthia Bourgeault die Trinität vollkommen neu als einen permanent fließenden Prozess der kosmischen Transformation. Dabei stützt sie sich auf die visionären Einsichten der bedeutenden Mystiker Jakob Böhme [/] und G.I. Gurdjieff. In dem hier abgedruckten ersten Kapitel macht sie sich Gedanken zu einem wichtigen Teilaspekt der Trinitätsdiskussion: nämlich zur »Geschlechterfrage« in der Dreifaltigkeitsgemeinschaft

in den letzten Jahren ist es in liberalen theologischen Kreisen zunehmend in Mode gekommen, sich die dritte Per­son der Dreifaltigkeit als weiblich vorzustellen. Aus vielerlei Grün­den, linguistischer wie auch archetypischer Natur, scheint diese Festlegung angebracht zu sein. So ließe sich etwa argumentieren, dass der Heilige Geist eigentlich identisch ist mit Sophia, der Weis­heit Gottes, die im Alten Testament als weiblich personifiziert wird; oder auch, dass die »Attribute« des Geistes in unserer biblischen Tra­dition zumeist weiblich sind; und dass der Geist in seiner intuitiven, ihm innewohnenden Empfänglichkeit eine ›weibliche‹ Art des Erkennens und Seins verkörpert, die ein Gegengewicht dar­stellt zum eher »maskulinen« Erkennen und Sein des Logos oder des »fleischgewordenen Wortes« in der männlichen Personifizie­ung von Jesus Christus.[1]

Gewiss: Von einem praktischen Standpunkt aus betrachtet liefert dieses Gender-Korrektiv kolossale Vorteile. Wenn, wie es leider offenbar der Fall ist, die ausschließlich maskuline Darstellung von Gottes Innenleben das theologische Funda­ment für eine exklusiv männliche politische Hierarchie gelegt hat, die das Weib­liche und die Frauen im Christentum systematisch abwertet, dann scheint eine authentische feminine Verkörperung einer der Perso­nen der Dreifaltigkeit ein eleganter Weg zu sein, diesen Missstand zu beseitigen und die Schieflagen zu korrigieren, welche so viele Be­reiche des kirchlichen Lebens verzerrt haben.

Wie löblich der Versuch auch sein mag, die feminine Präsenz in der Dreifaltigkeit sicherstellen zu wollen, führt diese aktuelle Strategie zu einem ernsthaften Durcheinander der metaphysischen Systeme.

Doch obwohl ich als Frau mir wirklich wünschte, dass es so einfach zu bewerkstelligen wäre, bin ich mehr und mehr davon überzeugt, dass dies nicht funktioniert. Es hieße, das Richtige aus einem falschen Grund heraus zu tun. Mit dem extrem kurzsich­tigen metaphysischen Denken, das hier eingeführt wird, ist in diesem Fall der angerichtete Schaden wahrscheinlich größer als der kurzfristig erzielte Nutzen. Wie löblich der Versuch auch sein mag, die feminine Präsenz in der Dreifaltigkeit sicherstellen zu wollen, führt diese aktuelle Strategie zu einem ernsthaften Durcheinander der metaphysischen Systeme, dessen langfristige Auswirkungen das Christentum auf ein post-Jung’sches archetypisches Meer hinaustreiben lassen, in dem seine ureigene intuitive Genialität auf eine verhängnisvolle Weise verwässert wird.

Die scharfsinnigeren unter den feministischen Theologinnen, wie etwa Elizabeth Johnson [/], sind sich der Falle in diesem kurzfristig angelegten Korrektiv bereits bewusst geworden und haben für eine umfassendere Überarbeitung plädiert. In ihrem einflussrei­chen Buch Ich bin, Die Ich bin erörtert Johnson, wie der Versuch, die drit­te Person der Trinität als »die weibliche Seite Gottes« darzustellen, eine doppelte Gefahr birgt: Das ganze Spektrum der Weiblich­keit wird durch eine Gender-Stereotypisierung, in der das Weib­liche lediglich mit den Qualitäten des Nährens, der Sanftheit und der Empfänglichkeit assoziiert wird, reduziert, während die Fülle der Göttlichkeit durch »das Ontologisieren des Geschlechts in Gott«, also eine Übertragung menschlicher Einteilungen auf die Gottheit, geschmälert wird.[2] Ihr Lösungsansatz, basierend auf einer Anerkennung des Symbolcharakters von Sprache, besteht darin, einen umfassenden Katalog gleichwertiger Metaphern vorzulegen, der es erlaubt, sich alle drei Personen der Trinität in weiblichen Bildern vorzustellen. Doch obwohl ihr Vorschlag in die richtige Richtung weist, bleibt er im Großen und Ganzen doch nur eine Umgruppierung an der Oberfläche, eine Re-Vision der Personen, während das Konzept der Göttlichen Personifizierung an sich unberührt bleibt. Somit haben wir es mit einem Lösungs­ansatz auf der theologischen Ebene zu tun. Der wirkliche Ursprung des Rätsels – und damit der Ansatzpunkt des Hebels zu dessen Lösung – liegt jedoch auf der metaphysischen Ebene.

 

Das metaphysische Korrektiv

Es ist jedoch nicht so einfach, den metaphysischen Fehler, auf dem diese Feminisierung der Dreifaltigkeit beruht, zu beschreiben, weil die Christen selbst es nicht gewohnt sind, über ihre geliebte Drei­faltigkeit in den Begriffen eines metaphysischen Prozesses zu denken. Ihnen wurde eingepaukt, bei der Trinität gehe es um »Perso­nen« – deren Namen »Vater«, »Sohn« und »Heiliger Geist« lauten und welche in einer ewigen, sich selbst generierenden und sich selbst erhaltenden Gemeinschaft leben. Obschon die komplexe Wechselbeziehung unter diesen Göttlichen Personen, abgesehen von geschulten Theologen, allen entgehen mag, beinhaltet die Tatsache, dass diese drei Personen wirklich existieren – und sie die drei einzigartigen Manifestationen der unsichtbaren Fülle Gottes sind –, den theologischen Eckpfeiler der christlichen Erfahrung. Mit meinem Einwand, die Trinität könne im Grunde genommen als das christliche Äquivalent zum östlichen Yin-und-Yang-Symbol gesehen werden, habe ich einige Menschen verschreckt. Bei der Trinität geht es vorrangig darum, wie Gott Sich bewegt und fließt, wie Gott Sich innerhalb der Domäne der Manifestation von einer Form (oder einem »Zustand«).[3] in eine andere verändert und die Un­beständigkeit der Schöpfung mit der Ganzheit des Göttlichen Seins durchdringt. Die Vorstellung, dass es bei der Dreifaltigkeit eher um einen Prozess als um Personen geht, scheint offenbar eine radikale Ansicht zu sein.

Georges Iwanowitsch Gurdjieff (1866–1949)

Doch es ist genau dieser Punkt, an dem ich anfangen muss: Bei der Trinität geht es um den Prozess. Sie fasst ein Paradigma von Veränderung und Transformation zusammen, das auf einem uralten metaphysischen Prinzip basiert, das als »das Gesetz der Drei« bekannt ist und im modernen Westen erstmals von Georges Iwanowitsch Gurdjieff formuliert wurde. Die Personen sind sicherlich keine Folgen der Drei­faltigkeit, doch sind sie Ableitungen insofern, als dass sie sich entsprechend dieses grundlegenderen Prinzips des Gesetzes der Drei entfalten und manifestieren, welches sich (zumindest intuitiv) im Herzen des christlich-metaphysischen Selbstverständnisses offen­bart. Daher müssen wir unsere Nachforschungen mit Über­legun­gen zu diesem System als solchem beginnen.

 

Binäre und ternäre Systeme

Die meisten der alten metaphysischen Paradigmen sind binäre Systeme. Das heißt, sie funktionieren nach dem Prinzip von Ge­gen­satzpaaren. Yin und Yang sind ein ganz offensichtliches Beispiel dafür. In binären Systemen wird das Universum als durch das symmetrische Zusammenspiel der großen Polaritäten erschaffen und erhalten erlebt: männlich und weiblich, Licht und Dunkelheit, Be­wusstes und Unbewusstes, Yin und Yang, prakriti und puruscha.[4]

Die Kategorien »maskulin« und »feminin« gehören ebenso zum binären System; genau genommen sind sie vielleicht sogar das ursprüngliche binäre System in der Schöpfung. Das Leben erhält sich im Spannungsfeld der Gegensätze und drückt sich auch darin aus; ein Erschlaffen dieser Spannung durch ein Ungleichgewicht der Tei­le führt zum Kollabieren des ganzen Systems.

Ein ternäres System fasst eine sich davon deutlich unterscheidende Kombination ins Auge. Anstelle von Gegensatzpaaren erfordert es das Zusammenspiel zweier Polaritäten, die ein Drittes hervorrufen, das als das »vermittelnde« oder »versöhnende« Prinzip zwischen den anderen beiden fungiert. Im Gegensatz zum binären System, welches seine Beständigkeit im Ausgleich der Gegensätze findet, erfordert das ternäre System eine dritte Kraft, die als die notwendige Vermittlung dieser Gegensätze zum Vorschein kommt und ihrerseits (und dies ist der wirklich entscheidende Punkt) eine Synthese auf einer ganz neuen Ebene erzeugt. Hier haben wir es mit einer Dialektik zu tun, deren Auflösung gleichzeitig ein neues Reich an Möglichkeiten schafft.

Schauen wir uns ein paar einfache Beispiele an. Ein Weizen­korn, wie Jesus sich ausdrückt, »bleibt allein, wenn es nicht in die Erde fällt und stirbt.« Wenn dieses Weizenkorn in die Erde fällt, wird es in einen heiligen transformativen Prozess geworfen. Der Sa­men, die erste oder »bejahende« Kraft, trifft auf die Erde, die zweite oder »verneinende« Kraft (und, was dies betrifft, muss es sich um feuchte Erde handeln, da Wasser deren allerwichtigste Komponente ist). Doch sogar in diesem Zusammentreffen geschieht nichts, bis das Sonnenlicht, die dritte oder »versöhnende« Kraft, in der Gleichung hinzukommt. Danach wird von den dreien ein Keim geschaffen, welcher die Verwirklichung der latenten Möglichkeit des Samens ist – und ein ganz neues ›Feld‹ von Möglichkeiten.

Oder nehmen wir als Analogie das Segeln. Wie allgemein bekannt, wird ein Segelboot durch die Wellen getrieben aufgrund des Zusammenspiels vom Wind in seinen Segeln (erste Kraft) und dem Widerstand des Wassers gegen seinen Kiel (zweite Kraft). Ergebnis ist, dass das Boot vorwärts durchs Wasser schießt, fast wie ein ausgespuckter Kern einer Wassermelone. Doch wie jede Segle­rin und jeder Segler weiß, ist diese Schulbuch-Analogie nicht vollständig. Ein sich selbst überlassenes Segelboot wird eben gerade nicht vorwärts durchs Wasser schießen; es wird sich im Wind drehen und haltmachen. Damit eine Vorwärtsbewegung eintreten kann, muss eine dritte Kraft in diese Gleichung hineinkommen: der Steuerkurs oder der Zielort, durch welchen die Steuerfrau oder der Steuermann das richtige Setzen des Segels und die Ausrichtung des Kiels bestimmt. Nur wenn diese drei zusammenkommen, kann sich das gewünschte Ergebnis einstellen, welches sich im richtigen Kurs und in der zurückgelegten Strecke zeigt.

Ein binäres System und ein ternäres System können nicht vermischt und zusammengeführt werden, weil sie aus grundsätzlich verschiedenen Metaphern für Prozess stammen.

Später in diesem Kapitel werde ich mehr über die relativen Stär­ken und Schwächen von binären und ternären Paradigmen hinsichtlich genau dieses Themas sagen: der Vorwärtsbewegung. In Be­zug auf die vorrangige Frage, die wir erörtern wollen, geht es jedoch darum, dass ein binäres System und ein ternäres System nicht vermischt und zusammengeführt werden können, weil sie aus grundsätzlich verschiedenen Metaphern für Prozess stammen. Es ist wie im polyrhythmischen Spiel von »zwei gegen drei« in einer Brahms-Sonate: Die Takte stimmen nicht miteinander überein. In einem ternären System gehen die Kategorien »männlich« und »weiblich« nicht genau auf, da diese Systematik nicht auf Gegen­satzpaaren beruht, sondern auf einem dreifachen Prozess.

 

Ist die Trinität ein ternäres System?

Historisch betrachtet scheint das Dogma der Trinität nahezu ad hoc aus einer Reihe von Verteidigungspositionen aufgetaucht zu sein, die während des vierten Jahrhunderts als Reaktion auf die fortlaufenden Wellen arianischer Herausforderungen an die Gött­lichkeit Christi zusammengezimmert wurden.[5] Doch phänomenologisch betrachtet ist die Dreifaltigkeit ein Paradebeispiel für etwas, das in der heiligen Überlieferung manchmal als »Arkanum« be­zeichnet wird: ein dicht verschlüsseltes Symbol (ein Bild, eine heilige Geste oder eine liturgische Formel), das, wenn es mit einem erleuchteten Herzen gelesen wird, objektives metaphysisches Wis­sen zu übermitteln vermag. In diesem Fall stellt die Dreifaltigkeit, wenn wir sie als die ursprüngliche Manifestation der unbeschreiblichen Göttlichen Einheit betrachten, die Schablone bereit, durch welche weitere Manifestationen verständlich gemacht werden und zwar sowohl als ewiges Prinzip wie auch als zeitlicher Prozess. Mit dem Gesetz der Drei als ihrem hermeneutischen Schlüssel enthüllt die Dreifaltigkeit das Wissen darum, wie Gott, das verborgene, nicht-manifestierte, unzugängliche Licht, zum empfängbaren Licht wird, das die Liebe offenbart und erzeugt, und darum, wie die Lie­be ihrerseits zur Antriebswelle aller Schöpfung wird und alle Dinge zu ihrer Fülle bringt – nicht indem sie aus dem Geschaffe­nen flüchtet, sondern indem sie es verzehrt.

Jakob Böhme

Jakob Böhme (1575–1624). Quelle: Wkimedia Commons

Dies zu demonstrieren, und zwar zielgerichtet und den Perso­nen vorausgehend, ist möglich, doch nicht ohne das Durchwaten von metaphysischen Gewässern, die abgesehen von Jakob Böhme nur wenige gemeistert haben. Später in diesem Buch werde ich versuchen, die brillante, aber komplizierte Metaphysik Jakob Böhmes umfassender darzulegen und aufzuzeigen, wie er die Reise, auf welcher die Göttliche Einheit in Form und Vielfalt »sich selber offen­bahret«,[6] nachverfolgt – Einsichten, die meiner Mei­nung nach noch immer den Schlüssel zur Entwirrung des gegenwärtigen Drei­­faltigkeitsrätsels bergen.

Ohne bereits an dieser Stelle allzu tief in diese heiligen Myste­rien eintauchen zu wollen, möchte ich ganz einfach versuchen, eine Vor­stellung von der Dynamik zu vermitteln, die einem ternären System innewohnt. Obwohl sich das Christentum die explo­sive transformative Kraft, die in diesen kovalenten Bindungen der Dreifaltig­keit steckt, erst noch erschließen muss, ist ihr Potenzial nicht gänzlich unbemerkt geblieben. So schreibt Olivier-Maurice Clé­ment in The Roots of Christian Mysticism klug:

Ein einsamer Gott könnte nicht »grenzenlose Liebe« sein. Ein Gott, Der Sich selbst, gemäß einem in der Mythologie gängigen Muster, zweifaltig erschaffen hätte, würde Sich selbst zur Wurzel einer unglücklichen Vielfalt machen, welcher Er nur Einhalt gebieten könnte, indem Er sie wieder in Sich selbst aufsaugte. Das Drei-in-Einem kennzeichnet die Perfektion der Einheit – die »Über-Einheit« [hyper henosis] gemäß Dio­nysius Areopagita –, die sich selbst in Gemeinschaft [Kom­munion] erfüllt und zur Quelle und Grundlage aller Gemein­schaft wird. Es verweist auf die dauernde Überwindung von Gegensätzen.[7]

»Zweifaltigkeit« führt zu zyklischer Wiederholung. Jedweder Fort­schritt, jede Art von Vorwärtsbewegung durch die Zeit, operiert unter dem Gesetz der Drei, dessen Asymmetrie den notwendigen Vorwärtsimpuls erzeugt. Es gibt keinen Fortschritt ohne das Ge­setz der Drei und kein Gesetz der Drei ohne Fortschritt. Diesen trügerisch einfachen Punkt finden wir im Herzen der christlichen Metaphysik, wenn wir ihn uns nur besser erschließen könnten.

Carl Gustav Jung

Carl Gustav Jung (1875–1961). Quelle: Wkimedia Commons

Und die Vierfaltigkeit?

Die Vierfaltigkeit wurde erstmals von C.G. Jung [/] als »Verbes­serung« der Dreifaltigkeit eingebracht, da er die viereckige Form (um genau zu sein: das Mandala oder das Viereck in Kombination mit dem Kreis) als eine Form mit größerer Stabilität und arche­typischer Vollständigkeit als das Dreieck betrachtete. Er deutete an, dass das »fehlende Weibliche« in der christlichen Trinität durch eine Erweiterung des Systems zur Quaternität gefunden werden könnte, wenn das Weibliche als Boden, oder Erdpol, hinzugefügt würde. Jungs Erkenntnis lieferte sowohl das Programm als auch einen großen Teil der Strategie für die gegenwärtigen Bestrebun­gen in Richtung einer stärker androgynen Neubetrachtung der Gott­­heit.[8]

In einer sehr wichtigen neueren Abhandlung zu diesem Thema macht sich Vater Bruno Barnhart in seinem Buch Second Simplicity das vierfaltige Schema Jungs enthusiastisch zu eigen, obwohl er gleichzeitig eine bemerkenswerte Variante einführt: Er verortet das Feminine am dritten (statt am vierten) Pol.[9] An dieser Stelle fällt es zusammen mit der traditionellen Platzierung des Heiligen Geistes im trinitarischen Denken und erscheint in dieser neuen Zuord­nung als »der immanente und vereinigende Geist, […] das Göttlich Feminine, […] die innere Weisheit und Kraft, welche die Ge­schich­te der Menschheit in Richtung ihrer Vollendung bewe­gen.«[10] Hier schlägt Barnhart eine Brücke zwischen femininem und Jung’schem Denken und leistet damit eine kraftvolle, neue theologische Unterstützung für eine feminine Deutung des Heili­gen Geistes.

Doch obschon die anfängliche Anziehungskraft der Vierfaltig­keitsvorstellung stark ist und in Barnharts Worten »die Vermäh­lung des maskulinen Prinzips von Struktur und Polarität mit dem femininen Prinzip von Ganzheit, Schlichtheit und Einheit« darstellt,[11] sollte die Schwachstelle des damit bisher dargelegten metaphysischen Systems offensichtlich sein. Denn die Quaternität ist in Tat und Wahrheit nur eine verdoppelte Binarität und funktioniert deshalb auf dem früheren mythologischen Gesetz der Gegensatz­paare, dieses Mal einfach mit doppelten Paaren. Zwar bewirkt sie eine Vervollständigung der Trinität im Sinne eines »Mandalas«, doch hat sie auch metaphysisch die Gleise gewechselt und führt daher zu einer Verklärung und einer Schwächung des ganzen Selbst­­­verständnisses der dynamischen, asymmetrischen Antriebs­welle des ternären Systems. Während binäre Systeme ihre Vollen­dung in einer »Resorption in das Ganze hinein« suchen, wie Clé­ment beobachtete, suchen ternäre Systeme ihre Vollendung im Hin­eintreiben in eine neue Dimension. Um das »fehlende Vierte« zu finden, müssen wir, gemäß dem Gesetz der Drei, auf einer ganz neuen Ebene danach suchen. Das Vierte ist keine abschließende und beständige Vollendung, sondern das Neuentstehende, das sich unvermeidlich aus dem dynamischen Zusammenspiel der drei ergibt.

 

Die Dreifaltigkeit fließen lassen

Dennoch ist, zumindest für mich, der zu bezahlende Preis für die feminine Teilhabe an der Trinität (jedenfalls im Rahmen der gegenwärtigen Strategien) viel zu hoch. Im Ergebnis wird eine dynamische Metaphysik der Veränderung und Transformation, die zu verstehen wir noch nicht einmal begonnen haben, dazu gebracht, zu einem behäbigen Prinzip von Symmetrie oder von gleichgewichtigen Gegensätzen zu kollabieren, das zwar auf einer gege­benen Ebene bestehen kann, dem es aber an der Fähigkeit fehlt, ins Neue zu treiben.

Die schwierige Naht zwischen Jesus als Mensch und Jesus als Göttlicher Hypostase hat die Theologen seit Jahrhunderten gequält und bleibt der Kern unseres Rätsels.

Der wirkliche Ursprung des gegenwärtigen Dilemmas hinsichtlich des Versuchs, die Dreifaltigkeit zu feminisieren oder sie in Rich­tung einer Vierfaltigkeit zu ›korrigieren‹, liegt auf der metaphysischen Ebene – und er besteht in dem Problem, das die Tri­nität in ihrer eigenen inneren Hermeneutik zu vermeiden sucht: näm­lich der Zusammenführung von ewigem Prinzip mit zeitlichem Prozess. Die schwierige Naht zwischen Jesus als Mensch und Jesus als Göttlicher Hypostase hat die Theologen seit Jahrhunderten gequält und bleibt der Kern unseres Rätsels, in dem ein männliches ewiges Prinzip ein ausgleichendes weibliches zu fordern scheint. Ebenso taucht der Heilige Geist, wenn die Unterscheidung zwischen ewigen und zeitlichen Reichen einmal verloren gegangen ist, als eine Verschmelzung von ewiger Weisheit mit der energetischen Gegenwart des auferstandenen Christus auf: eine Spannung von Gegensätzen, die auch Barnhart nicht zufriedenstellend mitein­ander versöhnen konnte.[12]

Doch die Lösung besteht nicht darin, das ternäre Prinzip aufzugeben, sondern darin, es anzuwenden und der Dreifaltigkeit zu ermöglichen, wieder ins Fließen zu kommen. Als ein metaphysisches Prinzip ist die Dreifaltigkeit ihrem Wesen nach kinetisch und ergießt sich selbst in neue Ausdrucksformen ihrer immensen kreativen Energie. In unserem dogmatischen Beharren auf nur einer Tria­de dieses ewigen sich manifestierenden Prinzips (Vater–Sohn–Heiliger Geist) haben wir ihre Energie aufgestaut und ihre sich entfaltenden Manifestationen miteinander vermengt. Doch die Lösung liegt nicht im Finden von noch stärker inkludierenden sprachlichen Ausdrücken für diese eine Triade, sondern darin, dass wir in unserer Anwendung des Gesetzes der Drei sehr viel gewandter werden und erkennen, dass die Triade Vater–Sohn–Heiliger Geist in einem ternären metaphysischen System ihren Platz unter vielen weiteren Triaden von Gottes Ausdrucksformen einnimmt – von denen jede eine unterschiedliche Facette der Göttlichen Ganz­heit offenbart:

nicht-manifestiert–sich manifestierend–manifestiert
verborgener Grund der Liebe–Weisheit–Wort
Gott–Wort–fleischgewordenes Wort
Mutter-Sophia–Jesus-Sophia–Geist-Sophia [13]
Vater–Sohn–Heiliger Geist
bejahend–verneinend–versöhnend.[14]

Das große Geheimnis der Trinität als metaphysisches Prinzip betrachtet liegt, mit Böhmes Worten, in ihrem Vermögen zur »Fas­sung des Nichts ins Etwas«:[15] zur Manifestierung von ewig Prin­zipiellem in Zeit und Form. Zeit – das heißt ein sequenzieller Prozess – ist eine wesentliche Zutat, und gerade in der Zeit werden wir das fehlende Feminine finden. Aus der oben stehenden Auf­listung erkennen wir auch, wie das Ternäre ein Prinzip ist, das über die Gegensatzpaare hinausgeht und sich, je nach der jeweiligen Triade, mit dem Maskulinen und mit dem Femininen an verschiedenen Punkten verbindet (das Feminine ist nicht immer auto­matisch die ›verneinende‹ oder empfangende Kraft, sondern kann verneinen, bejahen oder versöhnen; die Stationen sind fließend).[16] Diese Flexibilität ist nicht nur frei vom Mangel an femininer Teil­habe, sondern auch von Genderklischees, die in den heutigen psychologischen Modellen dermaßen vorherrschen.

Soll das feministische Dilemma zufriedenstellend aufgelöst werden, besteht die wirkliche Aufgabe darin, den Mut zu finden, die Dreifaltigkeit als die theologische Trumpfkarte des Christen­tums fallen zu lassen (das sie nur ausspielt, um zu beweisen, dass ein Mensch vollständig Gott war), und uns ihr stattdessen in ihrer kosmisch subtilen Rolle als einem ordnenden und offenbarenden Prinzip anzunähern mit Christus als dessen kulminierender Aus­drucksform. Wenn wir das metaphysische Prinzip als eine dogmatische Stütze missbrauchen, haben wir dessen innewohnende Transformationsenergie nicht begriffen. Könnten wir unser Suchen jedoch wieder ausweiten, würden wir möglicherweise entdecken, dass die Trinität Schätze bereithält, die zu erahnen wir noch nicht einmal begonnen haben. Doch dieses Arkanum aus einem gut­gemeinten, aber schlecht begründeten Versuch, die »feminine« Di­men­sion des Christentums stärken zu wollen, fallen zu lassen oder zu verfälschen, bedeutet, eine falsche und sehr gefährliche Ab­bie­gung zu nehmen.

© Cynthia Bourgeault 2020
Deutsche Übersetzung © Robert Cathomas & Helga Jacobsen

Anmerkungen

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[1] Dieses Argument wurde mit ungefähr denselben Worten entscheidend vorangetrieben von Bruno Barnhart in seinem Buch Second Simplicity: The Inner Shape of Christianity, Mahwah, New York: Paulist Press, 1999. Ich werde später in diesem Kapitel noch ausführlich auf Barnharts Sicht eingehen.

[2] Elizabeth Johnson: She Who Is: The Mystery of God in Feminist Theolo­gical Discourse, New York: Crossroad, 1992, Seite 54; deutsch: Ich bin, Die Ich bin, Patmos: Düsseldorf 1994. Ihre gesamte These ist prägnant in ihrem dritten Kapi­tel zusammengefasst.

[3] Und selbstverständlich ist »Zustand« die genauere Übertragung des ursprünglichen griechischen hypostasis, das üblicherweise mit »Person« übersetzt wird.

[4] Prakriti und puruscha sind die hinduistischen Gegensätze für Gott als Energie und Gott als Sein. Sie stimmen im Großen und Ganzen mit dem Konzept von energia (prakriti) und ousia (puruscha) der kappadokischen Kirchenväter überein.

[5] Eine gründliche Untersuchung der Entwicklung der christlichen Lehre der Dreifaltigkeit findet sich bei Catherine Mowry LaCugna: God for Us: The Trinity and Christian Life, San Francisco: HarperSanFrancisco, 1991.

[6] Jakob Böhme: Clavis oder Schlüssel etlicher vornehmer Puncten und Wörter, Amsterdam: 1682, Seite 227.

[7] Olivier-Maurice Clément: The Roots of Christian Mysticism: Text and Commentary, New York: New York City Press, 1993, Seiten 74–75.

[8] Eine Zusammenfassung der umfangreichen Schriften von C.G. Jung zu diesem Thema findet sich bei Bruno Barnhart: Second Simplicity, Seiten 149–153. Auf Johnsons feministische Kritik an der Argumentation Jungs wurde bereits an früherer Stelle in diesem Kapitel eingegangen.

[9] Bruno Barnhart: Second Simplicity, Seiten 6 und 90–139. Der vierte Pol wird dann zur Erde, die für ihn die Elemente der Materie, der fassbaren Welt, der Körper und der kosmischen Menschheit repräsentiert.

[10] Ebenda, Seite 90.

[11] Ebenda, Seite 143.

[12] Indem er Christus mit dem zweiten (männlichen) Pol gleichsetzt und den Geist beziehungsweise die Weisheitsenergie mit dem dritten (weiblichen), verbleibt Barnhart keine Möglichkeit, eine Kontinuität zwischen dem historischen männlichen Jesus und seiner dauerhaften persönlichen Gegenwart als christliche Energie und Grundlage zu etablieren. Sollen wir einwenden, dass, wenn ein Mensch den physischen Körper verlässt, er oder sie in der energetischen Manifes­tierung weiblich wird? Falls dem so ist, muss die Kontinuität zwischen Geschlecht und Persönlichkeit als nur im physisch-zeitlichen Reich normativ betrachtet werden: eine Position, welche die gesamte binäre Metaphysik entkräftet wie auch die traditionelle Trinitätstheologie, die auf der ewigen Hypostase von Vater, Sohn und Geist basiert. Und dies wäre in der Tat eine Büchse der Pandora!

[13] Dies ist das von Elizabeth Johnson vorgeschlagene vollständig feminine ternäre Äquivalent zum männlich-gedachten Vater–Sohn–Heiliger Geist.

[14] Dies ist die ternäre Grundlage des Gesetzes der Drei gemäß G.I. Gurdjieff. Siehe Kapitel 2.

[15] Jakob Böhme: Clavis, Seite 258.

[16] Elizabeth Johnson spricht von der »in der biblischen Christologie bezeugten Fluidität der Geschlechtersymbolik« (in She Who Is, Seite 99); doch von ihrer fixen theologischen Perspektive aus versäumt sie zu erkennen, dass diese Fluidität eine dem ternären System innewohnende Funktion der metaphysischen Fluidität ist, wo die Eigenschaften »bejahend«, »verneinend« und »versöhnend« nicht mit Geschlechtern verknüpft sind.