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Federico Faggin

Das Bewusstsein als Grund des Daseins

Federico Faggin vor Quantenverschränkung

Federico Faggin vor einem Modellbild einer Quantenverschränkung. Quelle: Video “How Do Scientists Explain Quantum Entanglement?” und Wikimedia Commons / Intel Free Press

Der italienische Physiker und Unternehmer Federico Faggin [/] machte sich einen Namen – und ein Vermögen – als Erfinder des ersten Ein-Chip-Mikroprozessors, des Intel 4004, der unserer heutigen Computertechnologie zum Durchbruch verhalf. Später in seinem Leben wandte er sich dem Studium des Bewusstseins zu und gründete zusammen mit seiner Frau die Federico Elvia Faggin Foundation [/], die sich der Erforschung von dessen Natur und Ursprung widmet. Gemeinsam mit dem Quantenphysiker Giacomo Mauro D’Ariano [/] entwickelte er jüngst ein neues physikalisches Modell der Wirklichkeit, in welchem das Bewusstsein, nicht die Materie, das Grundprinzip darstellt. Im folgenden Interview, das im Januar 2022 im Beshara Magazine [/] veröffentlicht wurde, befragen ihn Richard Gault und Jane Clark zu seiner faszinierenden Theorie und deren Bedeutung für unser Verständnis des menschlichen Lebens

Intel 4004 Prozessor

Der von Federico Faggin entwickelte Mikroprozessor Intel 4004, der ab dem Jahr 1971 dem Personal Computer den Weg ebnete. Quelle: Wikimedia Commons

eshara Magazine: In Ihrer vor einem Jahr erschienenen Autobiografie mit dem Titel Silicon [1] beschreiben Sie, wie aus einem Geschäftsmann in der Computertechnologie-Branche jemand wurde, der sich mit großer Leidenschaft der Erforschung des Bewusstseins zuwendet. Können Sie uns etwas mehr über diese Richtungsänderung erzählen?

Federico Faggin: Für das Bewusstsein begann ich mich Mitte der 1980er-Jahre zu interessieren im Rahmen meiner Gründung einer Firma zur Entwicklung künstlicher neuronaler Netzwerke – genauer gesagt von Emulatoren solcher Netze –, als wir versuchten, selbstlernende Systeme zu schaffen. Ich studierte Neurowissenschaften und Biologie und fragte mich: Wie kommt es, dass keines all dieser Bücher das Bewusstsein erwähnt? Mir schien, Bewusstsein könne nicht dasselbe sein, wie diese elektrischen oder biochemischen Signale, von denen ich dort las. Also überlegte ich: Wie gelangen wir von elektrischen Signalen zu Gefühlen? Was bräuchte es, um einen bewussten Computer herzustellen? Diese Fragestellung begann mich zu verfolgen, aber ich musste mich ihr in meiner Freizeit widmen, denn ihre Lösung war kein Geschäftsziel unserer Firma. Nach einiger Zeit, etwa nach einem halben oder einem Jahr, wurde mir indes klar, dass das, was ich vorhatte, sich nicht umsetzen ließ.

Darüber hinaus war ich damals nicht besonders zufrieden. Zwar hatte ich alles erreicht, von dem die ganze Welt sagt, es sollte uns glücklich machen: Ich hatte eine wundervolle Familie, wir waren gesund und ich war reich und berühmt. Was also wollte ich mehr? Aber ich war unglücklich und gestand mir dies lange nicht ein. Schließlich wurde mir klar, dass ich in den tiefsten Abgründen meines Inneren, ganz tief in meiner Psyche, tatsächlich am Aufschreien war. So war ich also unglücklich, ohne zu wissen weshalb, und versuchte gleichzeitig zu verstehen, was Bewusstsein ist. Damals begriff ich noch nicht, dass diese beiden Dinge zusammenhingen, denn das eine schien ein wissenschaftliches Problem zu sein und das andere war ein tiefes inneres Gefühl.

Beshara Magazine: War das die Zeit, die Sie in Ihrem Buch beschreiben, als Sie eine Erfahrung von Liebe und Einssein machten?

Federico Faggin: Ja. Dies geschah in einem Urlaub am Lake Tahoe. Wir besaßen dort ein Haus und waren über die Weihnachtsfeiertage zum Skilaufen dahingefahren. Eines Nachts wachte ich auf und erfuhr mich selbst – um es kurz und knapp zu sagen – als Liebe. Ich fühlte mich wie eine unglaublich kraftvolle, starke Liebe, wie eine Funken sprühende und sich selbst kennende Energie, und diese kam aus mir. Das fand ich besonders merkwürdig, denn damals wusste ich nicht, dass eine solche Liebe aus mir hervorgehen konnte oder aus überhaupt jemandem. Und so war ich vollkommen verblüfft.

Und dann explodierte diese Energie und ich erkannte, dass alles aus genau dieser Liebe ›gemacht‹ ist. Ich erfuhr mich selbst als die Welt, die aus dieser Energie gemacht ist und die mich beobachtete. Und das war echt irre, denn bisher hatte ich mich immer so erfahren, als sei ich von den Objekten meiner Beobachtung getrennt. Doch jetzt war ich plötzlich gleichzeitig der Beobachter und der Beobachtete. Es war nur eine kurze Erfahrung, aber sie hat mein Leben verändert. Es ließ mich erleben, dass es mit der Wirklichkeit mehr auf sich hat, als ich bis dahin wusste.

Federico Faggin und Barak Obama

Federico Faggin erhält von US-Präsident Barack Obama 2009 im Weißen Haus die National Medal of Technology and Innovation verliehen. Quelle: Faggin Foundation

Beshara Magazine: Und dass ließ Sie dann das Bewusstsein erforschen?

Federico Faggin: Dieses Erlebnis gab mir den Anstoß, von Grund auf verstehen zu wollen, was Bewusstsein ist. Aber wir können das nicht durch das Lesen von Büchern herausfinden, sondern nur, indem wir es tatsächlich erleben, indem wir es aus erster Hand erfahren, nicht, indem wir durch ein Mikroskop schauen. Und so habe ich während der nächsten zwanzig Jahre versucht, der Sache auf die Spur zu kommen. Ich machte noch viele unterschiedliche Erfahrungen, manche ebenso außergewöhnlich wie diese erste, die mir halfen, eine Vorstellung vom Bewusstsein und seinen Grenzen zu entwickeln. Bereits mein Initialerlebnis hatte mir klargemacht, dass Bewusstsein das Grundlegende sein muss, doch mit der Zeit begriff ich auch verstandesmäßig, dass Bewusstsein nicht etwas sein konnte, das »im« Gehirn entsteht. Es muss vielmehr das sein, was Gehirne erschafft.

Und so beschloss ich vor etwa zwölf Jahren, mich auf Basis dieser Idee ganz der wissenschaftlichen Erforschung des Bewusstseins zu widmen. Ich sagte mir: Dies wird mein letztes Projekt sein, bevor ich auf die andere Seite hinüberwechsle. Und heute bin ich sehr glücklich mit dem, was ich mir vorgenommen habe.

Beshara Magazine: Was haben Sie in den zwanzig Jahren seit dieser ersten Erfahrung unternommen, um auf ihr aufzubauen? Haben Sie zum Beispiel angefangen zu meditieren? Oder haben Sie sich spiritueller Literatur zugewandt?

Federico Faggin: Ich habe all das getan und mich dann auf einige Methoden konzentriert. Zuerst versuchte ich, das Ganze mithilfe der Transpersonalen Psychologie zu verstehen. Meine Therapeutin empfahl mir verschiedene Ansätze, wie zum Beispiel besondere Massagen, die auf traumatisierte Körperstellen ausgerichtet waren, oder verschiedene Formen des Biofeedbacks. Dann ließ ich mich auf ein zehnjähriges Abenteuer mit dem Diamond Heart Approach ein, einer psychologisch-spirituellen Schulung, während denen ich viele aufschlussreiche Erfahrungen machte. Und natürlich habe ich meditiert – in allen möglichen Formen. Auch habe ich Tausende von Seiten an Erfahrungsberichten und Einsichten niedergeschrieben und über viele Themen ausgiebig gelesen, denn nach einigen außergewöhnlichen – etwa spontanen außerkörperlichen – Erfahrungen und luziden Träumen konsultierte ich die einschlägige Literatur und erfuhr, dass viele Menschen ähnliche Erlebnisse gehabt haben.

Man könnte sagen, ich suchte, wo es mich hintrieb. Doch gleichzeitig war es, als würde eine weisere Seite meiner selbst den Prozess steuern und exakt das hervorbringen, was ich in genau dem Moment brauchte, um voranzukommen. Ich glaube, dass wir einen inneren Wegweiser besitzen; wir sind nicht allein, sondern Teil einer größeren Wirklichkeit, die wir nicht mit unseren Augen sehen, aber mit einem offenen Herzen spüren können.

Heute müssen wir uns die Dinge als Zustände von Feldern vorstellen; sie interagieren miteinander, doch gleichzeitig sind sie nicht getrennt vom Feld.

Der Wunsch nach Selbsterkenntnis 

Beshara Magazine: Vor Kurzem haben Sie angefangen, einige Resultate Ihrer Forschungen zu veröffentlichen, die Sie beschreiben als »ein neues Modell der Wirklichkeit« – einen neuen konzeptionellen Rahmen. Was unterscheidet ihn vom geläufigen Modell oder anderen Konzepten zur Beschreibung der Realität?

Federico Faggin: Es gibt, wie Sie wissen, verschiedene Modelle, um die Wirklichkeit zu erklären. Viele von ihnen basieren auf philosophischen oder metaphysischen Ansätzen, doch die meisten lassen die Physik außen vor. Ich aber bin Physiker, und also sollte jegliches Modell, das ich aufstelle, unserem heutigen Wissen auf diesem Feld Rechnung tragen. Darin liegt der Hauptunterschied meines Ansatzes.

Gemäß der Kosmologie des Big Bang oder des Urknalls [/] ist das Universum aus etwas entstanden, was die Physik das »Quantenvakuum« [/] nennt, das an sich bereits höchst mysteriös ist. Der Idee nach entspringen diesem Vakuum nicht vorhersehbare Fluktuationen [/], von denen eine das heutige Universum erzeugt hat. In meinem Modell jedoch entsprang alles jener Funken sprühenden, weißen Energie, die ich in meiner Initialerfahrung so deutlich gesehen habe. Diese Energie besitzt eine innere Wirklichkeit – eine bewusste bedeutungsvolle Realität – sowie eine äußere symbolische Wirklichkeit, die aus Materie besteht, wie sie alle Menschen und, so glaube ich, alle lebenden Organismen besitzen.

Quantenfluktuation

3D-Visualisierung einer Quantenfluktuation. Quelle: Wikimedia Comons / Ahmed Neutron

Was ist das Wesen von Materie? Heute stimmen die Physikerinnen und Physiker weitgehend darin überein, dass es Information ist. Wir haben herausgefunden, dass die Teilchen – Atome und Moleküle –, von denen wir geglaubt hatten, sie bildeten das »Stoffliche«, im Grunde genommen gar nicht als Objekte existieren. Sie existieren bloß als Zustand von Feldern – den grundlegenden Quantenfeldern [/] –, die miteinander interagieren und dadurch alles andere entstehen lassen. Der zentrale Punkt ist hierbei, dass diese Elementarteilchen von den Quantenfeldern nicht getrennt sind. Früher dachten wir, wir leben in einer Welt, in der es Objekte – eigenständige Dinge – gebe, die miteinander in Raum und Zeit interagieren. Das war die traditionelle Sichtweise der Wissenschaft. Aber heute müssen wir uns die Dinge als Zustände von Feldern vorstellen; sie interagieren miteinander, doch gleichzeitig sind sie nicht getrennt vom Feld. Im Modell, das ich propagiere, verfügen diese Quantenfelder über Bewusstsein.

Beshara Magazine: Und das heißt dann, dass diese Grundenergie sich selbst als Innerlichkeit kennen kann und auch als Information, das heißt als Materie, sodass, wenn ein Ding ein anderes gleiches Ding ›betrachtet‹, dieses ein getrenntes individuelles Ding zu sein scheint?

Alles ist aus einer ungeteilten Energie geschaffen, die sowohl das Verlangen als auch das Vermögen besitzt, sich selbst zu erkennen. Dieses vereinigte Feld nenne ich »das Eine«.

Federico Faggin: Ja. Aber um das Gesamtbild zu verstehen, müssen wir uns vorstellen, dass alles aus einer ungeteilten Energie geschaffen ist, die sowohl das Verlangen als auch das Vermögen besitzt, sich selbst zu erkennen. Dieses vereinigte Feld nenne ich »das Eine«. Das Eine existiert ›vor‹ dem physischen Universum, obschon das, was die Physik als das »physische Universum« bezeichnet, bloß der Informationsaspekt der Wirklichkeit ist. Der Bedeutungsaspekt der Wirklichkeit ist die innere Erfahrung und Erkenntnis des Einen, welche die heutige Physik nicht anerkennt. Darüber hinaus ›existiert‹ das Eine innerhalb einer größeren Wirklichkeit, welche die von uns erfahrene Raum-Zeit-Realität enthält.

Aus dem Einen treten bewusste Entitäten oder Dinge hervor, die, so wie das Eine, das Verlangen und das Vermögen besitzen, sich selbst zu kennen. Sie sind nicht getrennt vom Einen, obwohl ihre bewusste Erfahrung ihre innere Angelegenheit ist. Um einander zu erkennen, müssen diese Dinge miteinander kommunizieren, und dazu brauchen sie Symbole, wie die Wörter, die wir Menschen benutzen. Jedes Ding ist wie ein Quantenfeld, und die Symbole sind wie die Zustände dieses Quantenfeldes, die wir »physische Teilchen« nennen.

Die Dinge sind also die bewussten Felder und sie formen in ihrem eigenen Feld Symbole, um mit anderen Feldern, mit anderen Dingen, kommunizieren zu können. Der entscheidende Unterschied zur gegenwärtigen Physik liegt darin, dass diese Felder eine innere Bedeutung und bewusste Erfahrung besitzen, so wie wir es tun. Die Symbole haben eine Bedeutung, die von den bewussten Feldern verstanden wird.

Bewusstsein und freier Wille sind zentral und bestehen von Anfang an; sie entstehen nicht erst mit dem physischen Gehirn.

Beshara Magazine: Dieses Verlangen nach Erkenntnis besteht also nicht nur auf der Ebene der absoluten Wirklichkeit, sondern in jedem einzelnen bewussten Ding?

Federico Faggin: Ja. Die Tatsache, dass wir eine Innerlichkeit besitzen, ist in unserem Modell von grundlegender Wichtigkeit. Bewusstsein und freier Wille sind zentral und bestehen von Anfang an; sie entstehen nicht erst mit dem physischen Gehirn. Gemäß diesem Modell entsteht das Gehirn aus dem bewussten Feld als einer reinen Informationsstruktur. Die Bedeutung der Information, was wir wirklich sind, liegt im bewussten Feld. Materie ist nichts anderes als die Information, die bewusste Dinge nutzen, um miteinander zu kommunizieren, damit sie sich selbst erkennen. Unser tiefstes Verlangen als Menschen besteht darin zu wissen, wer wir sind. Wo kommen wir her? Was ist all das Zeugs, das uns umgibt? Wir wollen die Bedeutung von alldem verstehen.

Beshara Magazine: Dass wir durch Materie miteinander kommunizieren, ist offensichtlich. Ich kenne Sie aufgrund der Art, wie Sie mir erscheinen, durch die Worte, die Sie äußern, und die Dinge, die Sie als physisches Wesen tun. Doch weshalb kommunizieren wir nicht einfach direkt zwischen unseren Innerlichkeiten? Wozu all diese umständliche Materie erschaffen, die auf gewisse Weise eine Barriere zwischen uns errichtet?

Wir haben dieses Universum geschaffen, um uns selbst besser kennenzulernen, indem wir einen Körper nutzen, der diese Eigenschaften verstärkt, die wir erforschen und verstehen wollen.

Federico Faggin: Dasselbe habe ich mich vor vielen Jahren selbst gefragt. Zuerst einmal hat jeder von uns eine innere Erfahrung, die privat und unberührt ist, während Symbole, wie die Materie, öffentlich sind und von jedem und jeder wahrgenommen werden können. Zur Aufrechterhaltung meiner Identität – der Einzigartigkeit meines Gesichtspunktes – kann meine Erfahrung nicht identisch mit der Ihren sein. Wenn Sie unmittelbar meine Erfahrung kennen könnten, und ich Ihre, wären wir dasselbe Wesen.

Und zweitens: Die Notwendigkeit, dass ich meine Bedeutung in Symbole umwandle, um mit Ihnen zu kommunizieren, und dass ich Ihre Symbole in die von Ihnen beabsichtigte Bedeutung übersetze, erlaubt es mir, sowohl mich selbst als auch Sie besser kennenzulernen. Also betrachte ich es in etwa so, als würde dieses Universum die Rolle einer Art virtueller Realität spielen, die es uns erlaubt, uns selbst besser kennenzulernen, indem unser Bewusstsein in lebenden Organismen verkörpert ist. Aber natürlich nicht im Stil einer Science Fiction, in der irgendwelche Aliens einen Computer gebaut haben und wir das Programm sind, das darauf läuft. Das wäre, offen gesagt, höchst kindisch. Nein, der Prozess wird durch die Tatsache angetrieben, dass diese Wirklichkeit hinter Raum und Zeit sich selbst erkennen will. Und wir haben dieses Universum geschaffen, um uns selbst besser kennenzulernen, indem wir einen Körper nutzen, der diese Eigenschaften verstärkt, die wir erforschen und verstehen wollen.

Die Entwicklung des Universums ist der symbolische Aspekt der endlosen Suche aller existierender bewusster Wesen nach Bedeutung.

Beshara Magazine: Was Sie damit eigentlich sagen, lautet, dass etwas, was wir innerlich vielleicht bereits kennen, sich anders oder vollständiger zeigt, wenn wir sehen, wie es sich tatsächlich im physischen Universum äußert?

Federico Faggin: Das ist korrekt. Doch es ist wichtig hinzuzufügen, dass dieses »sich äußern« niemals vollständig ausdrücken kann, wer wir sind. Irgendetwas fehlt dabei immer, weil wir potenziell unendlich sind. Wir kommunizieren mit Hilfe von Symbolen, und die Symbole reichen niemals aus, alles einzufangen, was wir sind. Sie sind beschränkt. Die Entwicklung des Universums, deren Zeugen wir sind, ist die andere Seite oder das andere Gesicht, der symbolische Aspekt, der endlosen Suche aller existierender bewusster Wesen nach Bedeutung.

Denken Sie an die Liebe, die wir für einen anderen Menschen fühlen mögen. Können wir diese Liebe jemals vollständig ausdrücken? Nein, das können wir nicht. Wir können es versuchen mit Poesie, mit Musik, mit Malerei. Wie auch immer wir es anstellen, es wird uns nie zur Gänze gelingen. Kein symbolischer Ausdruck wird jemals die Gesamtheit dessen einfangen, was wir fühlen. Unsere Gefühle geben uns eine Vorstellung davon, wer wir sind. Sie erzählen uns, was wir über uns selbst noch herausfinden müssen, nämlich die noch immer unausgedrückte Bedeutung, die wir in unserem Inneren spüren: den Drang, der uns antreibt, uns immer besser kennenzulernen. Dieser Drang äußert sich als Neugier, als Mut und als Abenteuerlust, die uns in Richtung des Unbekannten treiben.

Mars Rover

Künstlerische Visualisierung eines mittels künstlicher Intelligenz gesteuerten NASA-Roboters auf dem Mars. Quelle: Wikimedia Commons / NASA

Die Versprechen und die Gefahren künstlicher Intelligenz

Beshara Magazine: Sie haben gesagt, dass das Eine nie aufhören wird, sich auszudrücken. Also wird dieser Prozess des Kennenlernens tatsächlich nie zu Ende gehen?

Federico Faggin: Das wird er nicht, weil das Eine potenziell unendlich ist. Viele Physiker und Physikerinnen glauben, Bewusstsein sei nur eine Begleiterscheinung des Gehirns, und dieses entscheidende Missverständnis liegt der Vorstellung zugrunde, künstliche Intelligenz werde eines Tages intelligenter sein als wir Menschen. Was wir bei der künstlichen Intelligenz nie vergessen dürfen, ist, dass wir sie geschaffen haben. Und dies haben wir aus demselben Grund getan, den ich bereits erwähnt habe: weil wir uns im tiefsten Inneren selbst verstehen wollen. Wenn wir uns darüber nicht im Klaren sind, sind wir verloren.

Beshara Magazine: Wieso verloren?

Federico Faggin: Weil wir uns dann für Maschinen halten, statt für spirituelle Wesen. Und falls wir das glauben, wird es immer bessere Maschinen geben, die uns schließlich sogar beherrschen könnten – ganz besonders auch, weil wir uns angewöhnt haben zu glauben, bei der Evolution gehe es um das Überleben des Stärkeren. Die Kombination dieser beiden Vorstellungen wird immer zu Krieg zwischen Mensch und Maschine führen, und den werden die Menschen wahrscheinlich verlieren, weil wir vergessen oder beiseite gewischt haben, weshalb wir mehr sind, als eine Maschine jemals sein kann.

Beshara Magazine: Doch wie ich bei Ihnen gelesen habe, scheinen Sie der Idee der Technologie in Ihrer Vision der Zukunft durchaus gewogen zu sein. Sie können sich Wege vorstellen, auf denen die Menschheit sich mit Computern mittels Methoden verbinden wird, die heutzutage noch undenkbar, aber theoretisch möglich sind, und dabei unser Potenzial besser ausschöpfen könnte.

Die Technologie kann nur dann segensreich sein, wenn sie so eingesetzt wird, dass sie unser Verständnis vertieft, wer wir als spirituelle Wesen sind.

Federico Faggin: Ja, durchaus! Doch nur dann, wenn wir unsere spirituelle Dimension anerkennen und weiterentwickeln. Die Technologie ist ein großes Geschenk und besitzt Aspekte, die unsere eigenen ergänzen können. Aber sie kann nur dann segensreich sein, wenn sie so eingesetzt wird, dass sie unser Verständnis vertieft, wer wir als spirituelle Wesen sind. Anderenfalls wird sie möglicherweise von Menschen mit schlechten Absichten dazu missbraucht, den Rest der Menschheit zu versklaven und letztlich zu zerstören. Wir sind Wesen des Lichts, denen andere Dimensionen des Daseins offenstehen weit jenseits derer, die Algorithmen zugänglich sind.

Die Verbindung von Mensch und Technologie geschieht bereits. Elon Musk [/] arbeitet schon an – direkten – Schnittstellen zwischen Biologie und Computern. Kann das funktionieren? Natürlich kann es das. Unser Körper ist Physik; nichts daran ist nicht-physisch. Was nicht-physisch ist, oder vielleicht sollte ich besser sagen »extraphysisch«, ist unser Bewusstsein, unsere Identität und unser freier Wille. Und das bringt mich zur Theorie, die ich zusammen mit Giacomo Mauro D’Ariano [/], einem führenden Physiker auf dem Gebiet der Quanteninformation [/], entwickelt habe.

IBM Quantencomputer

Wissenschaftler am IBM Research Lab im Jahr 2017 mit ihrem Prototyp eines 50-Qubit-Quantencomputers. Quelle: IBM Research

Bewusstsein und Quantenrealität

Beshara Magazine: Wenn wir diese richtig verstanden haben, setzen Sie in Ihrem Modell unsere Innerlichkeit mit der Quantenwelt gleich.

Federico Faggin: Ja. Bis jetzt halten viele Physikerinnen und Physiker die Quantenrealität für eine bloße Abstraktion – für eine mathematische Beschreibung, die es uns erlaubt, die Wahrscheinlichkeit von Vorgängen zu berechnen, die wir in der Raum-Zeit beobachten können. Doch seit rund zwanzig Jahren wird an der Entwicklung von Quantencomputern [/] gearbeitet, die auf eine Weise funktionieren, wie es klassischen Computern unmöglich ist: Sie können simultane Berechnungen anstellen, die von unseren heutigen Computern noch nacheinander ausgeführt werden müssen.

Nun ist es eine Sache zu behaupten, es gebe eine abstrakte Welt der Quanten, die es uns erlaubt, wahrscheinlichkeitsbasierte Vorhersagen zu treffen. Etwas anderes ist es, wenn wir sagen, in einer abstrakten Welt könnten wir Berechnungen anstellen und deren Resultate könnten in der physischen Welt ausgegeben werden. Um Computerberechnungen durchzuführen, muss die Quantenwelt irgendwie wirklich sein.

Die meisten Fachleute, die auf diesem Gebiet arbeiten, sind nicht so sehr daran interessiert, was sich da auf einer tieferen Ebene abspielt; sie wollen einfach nur schnellere Computer entwickeln. Aber für uns ist es wichtig, weil wir nun, nachdem wir postuliert haben, dass die Welt der Quanten eine Realität ist, auch sagen können, dass sie das Reich ist, in dem kommunizierende bewusste Wesen existieren und ihre eigenen Erfahrungen machen. Das ist die Grundlage unseres Modells, das wir mittlerweile zu einer Theorie ausgebaut haben und demnächst in einem Buch mit dem Titel »Künstliche Intelligenz versus Natürliche Intelligenz« publizieren werden.[2]

Gemäß unserer Theorie ist Bewusstsein ein Quantenphänomen, das die Information erzeugt, die wir dann als die physische Welt wahrnehmen.

Meinem Mitautor Giacomo Mauro D’Ariano ist es gelungen aufzuzeigen, dass sich die Quantenphysik zur Gänze aus der Quanteninformation ableitet. Aus der Quantenphysik leiten wir anschließend ab, was wir in der physikalischen Welt messen können. Gemäß unserer Theorie entsteht Bewusstsein also nicht aus der Information, die in der physischen Welt generiert wird. Vielmehr ist es ein Quantenphänomen, das die Information erzeugt, die wir dann als die physische Welt wahrnehmen.

Beshara Magazine: Was verstehen Sie unter »Quanteninformation«?

Federico Faggin: Klassische Information dreht sich um Bits, also darum, dass es zwei mögliche Zustände gibt, 0 oder 1, wahr oder falsch. Ein Bit [/] ist ein menschliches Konstrukt, das uns in die Lage versetzt, Computer zu bauen. Doch in den letzten zwanzig, dreißig Jahren hat die Wissenschaft die Vorstellung entwickelt, dass es in der Quantenwelt etwas Ähnliches wie ein Bit geben müsse, das als »Quantenbit« oder Qubit [/] bezeichnet wird. Das Qubit wird beispielsweise in dem verkörpert, was wir den Elektronenspin [/] nennen. Spin lässt sich nur in einem besonderen Vektorraum darstellen, dem sogenannten Hilbert-Raum [/], einem mehrdimensionalen Raum, in dem jede Dimension von einer komplexen Zahl repräsentiert wird, also von einer Zahl, die eine Summe aus einer reellen und einer imaginären Zahl ist.

Das Qubit besteht somit als eine Unendlichkeit von Zuständen im Hilbert-Raum, doch wenn es sich in der Raum-Zeit manifestiert, das heißt, wenn es in unserer physischen Welt gemessen wird, erscheint es in zwei Zuständen – als null oder eins, oben oder unten, links oder rechts, vorwärts oder rückwärts –, je nach der Ausrichtung des Magnetfeldes, in welchem wir diesen Spin messen. Jedes Qubit repräsentiert also unendlich viele Zustände, obwohl es sich in der Raum-Zeit als klassisches Bit manifestiert.

Qubits haben zudem die Eigenschaft, dass sie sich »verschränken« können. Verschränkung [/] ist ein Merkmal, das ausschließlich in Quantensystemen vorkommt. Es bedeutet, dass zwei Qubits, wenn sie miteinander interagieren, in einen gemeinsamen Zustand gelangen können, der auch weiterhin existiert, nachdem die beiden räumlich wieder voneinander getrennt sind. Dies führt zu »irren« Phänomenen wie etwa der augenblicklichen Korrelation zweier physisch getrennter Elektronen unabhängig von deren Abstand voneinander.

Was ist Quantenverschränkung? Ein dreieinhalbminütiges Video, in dem Physikerinnen und Physiker versuchen, das Phänomen des “Entanglement” zu erklären. Quelle: YouTube

Was ist Quantenverschränkung? Ein dreieinhalbminütiges Video, in dem Physikerinnen und Physiker versuchen, das Phänomen des “Entanglement” zu erklären. Quelle: YouTube

Diese beiden Merkmale zusammengenommen bedeuten, dass ein Qubit »Verbindungen« schaffen kann, die in der klassischen Raum-Zeit unmöglich sind. Und das wiederum bedeutet, dass die Quantenrealität viel schneller ist als die Wirklichkeit, die wir normalerweise wahrnehmen.

Beshara Magazine: In Ihrem Modell ist also das Bewusstsein oder die Innerlichkeit in der Quantenwelt angesiedelt, die der physischen Welt ›vorausgeht‹ – und erschafft diese tatsächlich sogar? Oder könnten wir genauer sagen, in der Quantenwelt gebe es bewusste Wesen oder Entitäten, die aufgrund ihres Wunsches, sich selbst zu kennen, die physische Welt als Information erzeugen?

Federico Faggin: Ja. Und einer der wichtigsten Aspekte dieser Theorie besteht darin, dass sie erstmals ein grundsätzliches Verständnis ermöglicht nicht nur des Bewusstseins, sondern auch des Wesens des freien Willens. Freier Wille geht mit Bewusstsein Hand in Hand und kann erklärt werden mit der unterschiedlichen Natur von Wahrscheinlichkeit in Quantensystemen und Wahrscheinlichkeit in klassischen Systemen. Diese Entitäten, diese Monaden bewusster Einheiten, besitzen Bewusstsein, freien Willen und Identität. Ihre Identität besteht darin, dass sie sich selbst als diejenigen kennen, die die Erfahrung machen. Sie haben auch das Vermögen zu handeln und somit eine Wirkung. All dies zusammengenommen, haben wir nun die Grundzüge einer Theorie, die falsifiziert werden kann, und darum können wir anfangen, uns Experimente dazu vorzustellen.

Matrischka-Puppen

Matrjoschka-Puppen. Quelle: Pexels / cottonbro

Die Entstehung von Bedeutung

Beshara Magazine: Ein Problem, das von Ihrer Theorie gelöst wird, ist die von René Descartes [/] eingeführte Trennung zwischen Materie und Bewusstsein. Die beiden Reiche des Inneren und des Äußeren – oder gemäß Ihrer Terminologie: der Quantenwelt und der physischen Welt – sind stets miteinander verbunden, weil die physische Welt eine Erscheinung, eine beschränktere Repräsentation, der inneren Welt ist.

Federico Faggin: Das ist richtig. Aber wichtig ist auch, sich darüber im Klaren zu sein, dass wir über die von der Physik beschriebene Quantenwelt hinausgehen müssen, wenn wir verstehen wollen, woher Bedeutung stammt. Information an sich – egal, ob wir von Bits oder Qubits sprechen – ist in der Physik bedeutungslos; wir verleihen ihr Bedeutung. Ein Computer kann lernen, Symbole zu manipulieren, doch kann er niemals verstehen, was sie bedeuten. Woher stammt also die Bedeutung? Sie kommt aus der tatsächlichen Erfahrung – der Qualia [/] –, und gemäß unserer Theorie tritt eine Qualia-Erfahrung dann auf, wenn ein Quantensystem in einem kohärenten Zustand ist, den wir »reinen Zustand« [/] nennen.

Wie bereits gesagt, ist Information der äußere Aspekt einer bewussten Entität; daher sind Qualia das, was Quanteninformation repräsentiert. Wir haben es hier also mit so etwas wie einer russischen Matrjoschka-Puppe zu tun. Die größere Puppenhülle ist die Erfahrung an sich. Aus dieser bewussten Erfahrung geht Quanteninformation hervor. Aus der Quanteninformation geht die Quantenphysik hervor, und aus der Quantenphysik geht die klassische Physik hervor. Sie alle hängen zusammen.

Eine der interessanten Eigenschaften von Quanteninformation liegt darin, dass sie immer einzigartig ist; sie lässt sich mit nichts vergleichen. Sie besitzt also genau das Merkmal, das wir von Bewusstsein erwarten.

Doch auch wenn es stimmt, dass Qualia der innere, ›private‹ Aspekt der Wirklichkeit sind und Information ihr äußerer, ›öffentlicher‹ Aspekt, lassen sich die beiden nicht voneinander trennen. Eines der von D’Ariano gemachten Postulate besagt, dass wenn ein Quantensystem in einem reinen Zustand ist, es sich dessen bewusst ist, das heißt, dass es diesen Zustand ›spürt‹. Mit anderen Worten: Um eine Qualia-Erfahrung zu machen, muss das System in einem reinen Zustand sein.

Eine der interessanten Eigenschaften von Quanteninformation liegt darin, dass sie immer einzigartig ist; sie lässt sich mit nichts vergleichen, weil sie nicht kopiert werden kann. Sie besitzt also genau das Merkmal, das wir von Bewusstsein erwarten und das in dem Privaten der persönlichen Erfahrung besteht. Unsere Erfahrung ist unberührt; wir können sie mittels Symbolen, Wörtern, Grimassen und so weiter ausdrücken, doch wir sind die einzigen, die die Qualität und Tiefe dessen kennen, was wir fühlen. An unseren Gefühlen ist etwas Unermessliches, weil sie bodenlos sind, sie haben keine Grenzen.

Beshara Magazine: Uns ist aufgefallen, dass eines der Ziele der Faggin Foundation in der Schaffung einer neuen mathematischen Theorie des Bewusstseins besteht, die nachprüfbare Vorhersagen zu treffen vermag. Und es hört sich so an, als habe die Arbeit von Ihnen und Giacomo tatsächlich dazu geführt.

Federico Faggin: Es ist wichtig zu unterstreichen, dass wir die Grundannahmen, auf denen unsere Theorie basiert, nicht direkt beweisen können – das wäre unmöglich. Diese neue Theorie beschreibt eine weitaus größere Wirklichkeit als alles, was wir mittels Instrumenten beweisen könnten, die in Raum und Zeit arbeiten. Alles, was wir nachprüfen können, sind die Konsequenzen dieser Grundannahmen, die in Raum und Zeit messbar sind. Das würde ausreichen, die Theorie zu widerlegen, und eine Theorie widerlegen zu können ist, wie Sie wissen, die Grundvoraussetzung dafür, dass sie wissenschaftlich akzeptabel ist.

Actinophryid Einzeller Amöbe

Eine Actinophryid-Amöbe: ein Einzeller ohne feste Körperform, der seine Gestalt laufend verändern kann. Quelle: Wikimedia Commons

Der Vorrang des Bewusstseins

Beshara Magazine: Wie weit fassen Sie den Begriff eines »bewussten Wesens«? Sie haben von Menschen und Tieren gesprochen. Was ist mit Elektronen und Dergestaltigem?

Federico Faggin: Nun, in unserer Theorie, sind die Quantenfelder die bewussten Entitäten. Doch die Teilchen sind nicht bewusst, denn sie existieren nicht als getrennte Dinge; sie sind bloß Zustände dieser Felder. Sie können nicht bewusst sein, weil sie keine einzigartige Identität besitzen.

Gleichermaßen halten wir uns selbst für bewusste Körper. Doch wir sind bloß bewusst, weil unsere Körper mit Entitäten oder Wesen verbunden sind, die in einer größeren Wirklichkeit existieren, von der die Raum-Zeit lediglich eine Projektion darstellt. Was ich also bin – mein wahres »Ich« –, lebt in dieser größeren Realität und kontrolliert meinen Körper von oben nach unten. Unser Körper ist nicht bewusst; er besteht aus Elektronen, Protonen und so weiter, und er existiert als Information, als quantenklassische Information. In der physischen Welt ist die einfachste Struktur, die Bewusstsein beherbergen kann, die Zelle. Nichts, was geringer ist als eine Zelle, kann eigenes Bewusstsein besitzen in dem Sinne, dass dessen physische Struktur von einer bewussten Entität kontrolliert wird.

Beshara Magazine: Wenn wir also nicht in der Raum-Zeit existieren, sondern auf der Stufe einer größeren Wirklichkeit, dann sollte der physische Tod unser Bewusstsein nicht grundsätzlich auflösen?

Federico Faggin: Ja, genau. Wir denken, wenn unser Körper stirbt, sei dies das Ende unseres Bewusstseins, weil man uns erzählt hat, das Bewusstsein werde vom Gehirn produziert. Aber wie ich bereits erklärt habe, ist es andersherum. Das Gehirn wird vom Bewusstsein geschaffen. Unser Gehirn nutzt unseren Körper als Werkzeug, um sich selbst zu erkennen.

Unser Körper ist eindeutig zeitlich, doch wir sind nicht zeitlich, denn wir existieren außerhalb der Raum-Zeit und wir wollen uns selbst erkennen. Und wir werden ewig fortfahren, uns kennenzulernen, denn dieser Prozess wird nie enden. Unsere Identität mag sich verändern, doch wir sterben nie.

Wenn unser Körper stirbt, gehen wir nirgendwohin, weil wir auf eine gewisse Weise gar nie »hier« waren.

Wir sind Quantenentitäten, und eine Konsequenz dieses Modells besagt, dass wir in dem existieren, was wir »Ewigkeit« nennen können. Wenn unser Körper stirbt, gehen wir nirgendwohin, weil wir auf eine gewisse Weise gar nie »hier« waren.

Beshara Magazine: Könnte diese Vorstellung nicht zu einer Art Fatalismus führen? Wenn ich nicht mein Körper bin und Sie nicht Ihr Körper sind, weshalb sollte ich mich dann um Sie kümmern oder mir über Sie den Kopf zerbrechen?

Federico Faggin: Nun, wenn wir alle Teil eines holistischen Einen sind, wie können wir dann voneinander getrennt sein? Wenn Sie sich selbst als die Welt erfahren, die sich selbst wahrnimmt, werden Sie unmittelbar erkennen, dass Sie ich sind und ich Sie bin. Also könnte es nie dazu kommen, dass mir egal wäre, was mit Ihnen geschieht, denn was Ihnen passiert, geschieht auch mir. Aber die einzige Art, wie wir dies verstehen können, ist nicht verstandesmäßig. Es kann nur durch eine Erfahrung des Einsseins geschehen. Bevor ich jene Erfahrung der Liebe gemacht habe, hätte ich genau dasselbe gesagt wie Sie gerade.

Beshara Magazine: Sie machten jene außergewöhnliche Erfahrung am Lake Tahoe und innerhalb weniger als einer Minute erkannten Sie Dinge, von denen Sie zuvor nichts gewusst hatten. Aber bedeutet dies, dass jemand, solange ihm oder ihr nichts Ähnliches widerfährt, nicht wirklich verstehen kann, wovon Sie sprechen?

Federico Faggin Silicon

Federico Faggins Autobiografie

Federico Faggin: Auf eine gewisse Weise ist das so. Als verkörperte bewusste Wesen vergessen wir unsere wahre Natur, sobald wir uns mit unserem Körper identifizieren. Doch wenn wir unsere wirkliche Natur wieder erfahren, erkennen wir uns selbst wieder in diesem Erlebnis. Wenn Sie das selber erfahren wollen, öffnen Sie sich für diese Erfahrung; dann wird Ihnen diese Erfahrung von Ihnen selbst gegeben und von niemand anderem. Ich glaube, es war mein größeres »Ich«, das mir die Erfahrung am Lake Tahoe schenkte, weil ich es aus keinem anderen Grund herausfinden wollte als aus dem Verlangen zu erkennen – nicht weil ich daraus einen Computer entwickeln oder damit Geld machen wollte oder irgendetwas anderes. Wenn wir nur um des Wissens willen wissen wollen, werden wir es erfahren. Punkt.

Beshara Magazine: Eine letzte Frage: Zweifelsohne erleben wir zurzeit eine Art Krise in der Welt: die ökologische Krise, die Covid-Krise, eine humanitäre Krise, und wir sehen nur wenige Lösungen am Horizont. Halten Sie den Perspektivwechsel, über den Sie sprechen, für einen vielversprechenden neuen Weg, den die Menschheit einschlagen könnte?

Federico Faggin: Ja, das denke ich. Tatsache ist, dass Erfahrungen wie die meine nicht so selten sind. Schauen Sie sich einmal die zahlreichen Nahtoderfahrungen an, über die berichtet wird: Hundertausende von Menschen auf der ganzen Welt haben solches erlebt. Eine Nahtoderfahrung kommt dem, was ich erlebt habe, am nächsten, obschon sie mit einem körperlichen Trauma einhergeht. Viele Menschen, die so etwas erlebt haben, hat dies verändert, genauso wie mich.

Die derzeitige Beschleunigung ist in meinen Augen also ein Anzeichen dafür, dass die Menschheit bereit ist zu begreifen, wo wir stehen, woher wir kommen und was gerade geschieht. Vielleicht helfe ich einer bestimmten Community, die Botschaft zu verstehen. Andere Menschen helfen anderen Communitys. Und so gibt es viele von uns, die bereit sind, zu verstehen und über die Illusion hinauszugelangen, dass wir bloß ein physischer Körper sind. Letztendlich sind Selbsterkenntnis und Sein dasselbe. Also besteht der einzige Weg der wahren Erkenntnis darin, das zu werden, was wir wissen. Bewusstsein ist das, was uns erlaubt zu werden, was wir wissen.

© Beshara Magazine & Federico Faggin 2022
Deutsche Übersetzung © Chalice Verlag

Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Beshara Magazine

Anmerkungen

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[1] Federico Faggin: Silicon: From the Invention of the Microprocessor to the New Science of Consciousness, Cardiff, CA: Waterside Productions, 2021.

[2] Giacomo Mauro D’Ariano und Federico Faggin: “Hard Problem and Free Will; an informational-theoretical approach” in Fabio Scardigli [Hrsg]: Artificial Intelligence vs Natural Intelligence, Berlin/ Heidelberg: Springer, erscheint voraussichtlich 2022.