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Reshad Feild | Howard Jay Rubin

In der Frage leben

Reshad Feild Portrait Illustration

Foto-Illustrationen: Chalice Verlag

Vor bald vierzig Jahren, im Juni 1983, veröffentlichte das amerikanische Literaturmagazin The Sun [/] ein ausführliches Interview mit Reshad Feild, auf das wir kürzlich beim Stöbern in unserem Verlagsarchiv gestoßen sind und das wir hier mit freundlicher Erlaubnis erstmals in deutscher Übersetzung zugänglich machen. Die Fragen stellte der Journalist Howard Jay Rubin, der für The Sun im Laufe der Jahrzehnte zahlreiche lesenswerte Gespräche mit bekannten Persönlichkeiten aus dem Kultur- und Geistesleben führte, wie etwa den Folk- und Bluesgrößen Pete Seeger [/], Odetta [/] und Tom Paxton [/], dem Jazzpianisten Yusuf Salim [/], dem Dichter Allen Ginsberg [/], dem Medizinmann Sun Bear [/], dem Yogi Swami Kriyananda [/] oder dem Rabbi Shlomo Carlebach [/]. Den englischen Originaltext des Interviews mit Reshad Feild finden Sie hier…

ienen« ist eines jener Codewörter, mit denen ich mich seit einiger Zeit beschäftige. Heutzutage überzeugt das landläufige Arbeitsethos immer weniger, wohingegen die Vorstellung von Arbeit als Dienst an anderen – und von anderen an mir – größeren Anklang findet. Doch ich frage mich, was Dienen genau bedeutet und wie es zu mehr werden kann als bloß einem weiteren Festessen für ein hungriges Ego.

In meinem Gespräch mit Reshad Feild schwang das Thema des Dienens die ganze Zeit mit. Denn Reshad ist ein Workaholic, und was er als »das Werk« betrachtet, ist ein Leben im Fluss des Dienens – »dem Fluss, der in den Strom fließt, der in den Ozean der Wahrheit mündet.« Für ihn sind Demut und Respekt – niemals vorauszusetzen, wir wüssten die Antwort, sondern »in der Frage zu leben« – das Tor zu bereitwilligem Dienen. Und »Dankbarkeit«, so zitiert er Dschalal ad-Din Rumi, »ist der Schlüssel zum Willen.« Reshads Worte vermittelten mir diesen Sinn von Dankbarkeit und das Gefühl tiefen Respekts, so als spreche er direkt das Höchste in mir an. Sie sanken tief ein und ließen mich mit der Empfindung zurück, dass Reshad (auf seine eigene Art wie ein Fuchs) nicht nur ganz und gar aufrichtig war, sondern wirklich wusste, wovon er sprach.

Wir saßen im Wohnzimmer seines blitzblanken Hauses in Santa Cruz (selbst die Wände werden jeden Tag gereinigt), sein kreischender Papagei hatte es sich auf seiner Schulter bequem gemacht, und ich versank in einem der packendsten Gespräche, an die ich mich erinnern kann. Ich war müde, doch meine Aufmerksamkeit blieb scharf und mein Verstand wurde immer ruhiger. Es war merkwürdig: Ich fühlte, dass sich etwas ganz Besonderes zwischen uns abspielte. »Wir machen Liebe«, sagte Reshad an einem Punkt unserer Unterhaltung, »wir machen, im gegenwärtigen Augenblick, Liebe möglich.« Aber später, als ich die Transkription des Interviews las, schien dies kaum mehr rüberzukommen. Irgendwie wird der gedruckte Wortlaut dem Erlebten nicht gerecht. Das Gespräch wirkt umherschweifend (was es auch war), Reshad wirkt etwas großspurig und hochtrabend (was er vielleicht auch ist), doch etwas in ihm geht über all dies hinaus.

Reshad Feild Portrait Illustration

Ich hatte seine beiden Bücher Die letzte Schranke und Wissen, dass wir geliebt sind gelesen und sie hatten mich bewegt. Dann kam mir, in der Vorbereitung des Interviews, noch eine andere Geschichte zu Ohren – von einem spirituellen Lehrer, dessen Benehmen bestenfalls als fragwürdig bezeichnet werden könne, der manchmal mehr trinke, als andere für angemessen erachten, der zwei schwierige Ehen und zwei stürmische Beziehungen zu seinen eigenen Lehrern hinter sich habe. Doch von dem Moment an, in dem wir uns bei einer Tasse englischen Tees zusammensetzten, fühlte ich, dass all dies belanglos war. Er entschuldigt sich nicht für seine Menschlichkeit, vielmehr betont er sie sogar, aber seine Präsenz ist von einer Qualität – einer großherzigen Liebe, einer überaus ansteckenden Freude –, die keinerlei Rechtfertigung bedarf. Von Zeit zu Zeit schien er todernst zu sein – fast zu ernst –, doch dann konnte ich spüren, wie sich in seinem Inneren ein Lachen zusammenbraute. Nach über zwei Stunden kamen wir zur letzten Frage, und Reshad lehnte sich mit einem solchen Seufzer der Erleichterung auf seinem Stuhl zurück, dass dieser nach hinten umkippte. Mit Gelächter kam unser Interview zum Abschluss.

Was also ist es, was Reshad tut? Als ich zum ersten Mal mit ihm sprach, bezeichnete er sich selbst als einen »Sufi im Ruhestand«, doch bin ich selten einem Menschen begegnet, der stärker in seiner Arbeit aufgegangen wäre. Er ist ein Autor, ein »innerer« Heiler, ein Scheich des Mevlevi-Derwisch-Ordens [/], ein Lehrer sowie der Gründer von mehr als einem halben Dutzend Schulen für »alternative Erziehung« (oder für gutes spirituelles Zureden, obwohl er diese Umschreibung zurückweisen würde). Ebenso ist er ein Berater für Geomantie, einer Wissenschaft, die er beschreibt als die Kunst, das elektromagnetische Feld unseres Planeten – andere sprechen von Ley-Linien [/] – zu verstehen und Gebäude richtig auszurichten, um eine größtmögliche Harmonie zu erzeugen. Einfach ausgedrückt, sagt Reshad, sind wir alle davon betroffen, wenn jemand etwas an die falsche Stelle setzt. Soeben hat er sein drittes Buch, Schritte in die Freiheit – Die Alchimie des Herzens, fertiggestellt und arbeitet bereits an einem nächsten mit dem Titel Leben, um zu heilen, das im nächsten Jahr veröffentlicht werden soll.

»Ich brauchte einen strengen Lehrer, weil ich stur, halsstarrig und eingebildet war. Und Hamid war genau der richtige.«

Reshad erzählt, er sei von einer Romni erzogen worden, die als Köchin bei seiner Mutter arbeitete. Den Großteil seiner Jugend verbrachte er in englischen Internaten; danach diente er in der Marine. Seine erste innere Ausbildung erhielt er im Werk nach Gurdjieff und Ouspensky [/], danach lernte er bei den Druiden [/] und bei diversen weiteren Lehrerinnen und Lehrern. Doch erst in den frühen Sechzigerjahren, als Folge seiner Begegnung mit Pir Vilayat Khan [/], einem Lehrer aus der Tradition des Sufismus, der Reshad schließlich als Sufi-Scheich initiierte, kam alles richtig in Schwung.

Als er dann jenen Mann [Bulent Rauf] traf, den er in seinem ersten Buch »Hamid« nennt, begann er, bei diesem Lehrer zu studieren und folgte ihm in die Türkei, wo er die Tradition der Mevlevi-Derwische kennenlernte. »Ich brauchte einen strengen Lehrer«, erklärt Reshad, »weil ich stur, halsstarrig und eingebildet war«, und Hamid war genau der richtige. »Er trat mir in den Hintern, wenn ich es nötig hatte.« Einer der Leitgedanken von Hamids Lehren war Vertrauen. »Immer wieder sagte er mir: ›Vertrau, vertrau, vertrau!‹«, erinnert sich Reshad, »und ich dachte: ›Glaube niemals, Vertrauen bedeute, einem Menschen zu vertrauen.‹ Vertrauen ist eine Eigenschaft Gottes. Und dann weißt du, wem du vertrauen kannst.«

Die Mevlevi-Derwische sind ein Sufi-Orden, der auf Dschalal ad-Din Rumi zurückgeht, den angesehenen mystischen und ekstatischen Dichter des dreizehnten Jahrhunderts. Wegen ihres rotierenden Tanzes, genannt »das Drehen«, wurden sie als »die wirbelnden Derwische« bekannt. »Es ist ein Weg der Vervollkommnung«, sagt Reshad, »keine Religion oder Sekte. Das Drehen führt zu einer inneren Erfahrung, die niemand in Worte zu fassen vermag. Es ist eine Schulung von Körper, Verstand und Geist. Wir drehen uns Gott entgegen, Der Liebe ist, so wie Er Sich in uns der Welt zuwendet und in uns Liebe macht.« Die Sufi-Tradition ist ein mystischer Zweig des Islams, bei dem die Liebe und das Erinnern Gottes (eine Praxis, die als dhikr bezeichnet wird) im Vordergrund stehen und weniger eine spezifische Form oder Doktrin.

Reshad arbeitete sieben Jahre lang mit den Derwischen, mal in, mal außerhalb der Türkei: eine Zeit, die er sehr lebendig in Die letzte Schranke beschreibt. (»Meine Bücher sind zu neunzig Prozent untertrieben«, sagte mir Reshad. »Wenn ich jemals die ganze Geschichte erzählte, würde mir niemand glauben.«) Sein Vertrauen in Hamid nahm ab, und nach einer ernsthaften Auseinandersetzung der beiden, die zur Trennung führte, ging Reshad zurück in den Westen.

Reshad Feild als Scheich beim Sema

Und so wurde Reshad später der erste westliche Scheich des Mevlevi-Ordens: »Ich leitete ein Zentrum in Los Angeles, als ich einen Brief von Suleyman Dede (dem Leiter des Ordens in Konya) erhielt. Er wollte nach Amerika kommen… Also sammelten wir Geld, um ihn herfliegen zu lassen. Meine Frau und ich bewohnten ein winziges Haus mit zwei Zimmern; in dem einen Zimmer lebten wir mit dem Baby. Eines Morgens, um vier Uhr, klopfte Dede an unserer Tür. Er sprach kein Englisch, ich kein Türkisch. Er gab mir zu verstehen, ich solle die rituellen Waschungen vornehmen. Ich wusste, wie diese auszuführen sind, und so tat ich, was er von mir verlangte. Er winkte mich in sein Zimmer, wo er die Chirqa, den wollenen Umhang, die Sikke (die Kopfbedeckung der Derwische), seinen eigenen Koran sowie seine Gebetskette ausgebreitet hatte; dann deutete er an, dass er mit mir beten wolle, also betete ich mit ihm… Danach drehte er sich zu mir, legte mir den Mantel um, setze die Sikke auf meinen Kopf und fügte hinzu: ›Nun bist du der erste Scheich des Westens, und ich kann nach Hause zurückkehren und sterben.‹ Ich hatte noch nicht einmal Zeit, Nein zu sagen.«

Reshads Ruf als ein Lehrer des Sufismus und des inneren Wissens wuchs, und damit auch ein subtiles Gefühl seiner Besonderheit in dieser Rolle. »War ich echt?«, fragt er, »wenn ich in England dreitausend Menschen imaginäre Speere in die Sonne werfen ließ, die davon high wurden wir ein Flugdrache? Nein, ich war nicht echt. Weder wusste ich, was ich da tat, noch war ich den Leuten eine Hilfe. Sich besonders zu fühlen, bedeutet, dass du irgendwann ans Kreuz des Stolzes geschlagen wirst… Eines Tages begriff ich, dass es hinter all dem etwas Glamouröses gab, was mich anzog. Da war eine innere Angst, die ich mit meinen Roben und all dem Zeugs zu verdecken suchte.« Also legte er die Roben, die Etiketts und die Angst ab. Heute weigert er sich, sich als »Sufi« oder irgendetwas anderes zu betiteln.

»Die größte Falle besteht im Voraussetzen. Wir setzen alles voraus. Wir setzen den Sonnenaufgang voraus, wir setzen voraus, dass dieser Baum morgen derselbe sein wird, der er heute ist. Aber vielleicht ist es nicht so.«

Wie ist es, mit Reshad zu arbeiten? Einige Leute erzählten mir, es sei kraftvoll und könne auch schwierig sein. Hat »Reshad der Lehrer« ein bisschen was von einem Fiesling? Manchmal. »Ich bin knallhart«, sagt er dazu. »Ich muss es sein.« Und dann gibt es da diese Geschichten. Etwa jene über einen späten Abend in einem von Reshads Zentren, als er erklärte: »Ich werde nicht schlafen gehen, bis sich alle hier lieben!« Also saßen die Leute eine Weile herum, umarmten sich und versuchten herauszufinden, was er damit wohl gemeint haben könnte. »Holt mir einen Stuhl«, brüllte er; und es wurde ihm ein Stuhl gebracht. »Holt mir meine Matratze«; und zwei Personen schleppten seine Matratze die Treppe hinunter. Und wieder verstrich die Zeit. Irgendwann wandte sich einer von Reshads Schülern der Frau neben sich zu und bemerkte in einem lauten Bühnenflüstern: »Das alles geht mir echt auf die Nerven.« Reshad funkelte ihn an: »Jeremy!«, sagte er, »dreh’!« Jeremy drehte sich im Derwisch-Tanz und hatte, wie er es später beschrieb, eine der wichtigsten mystischen Erfahrungen seines Lebens. Der Abend war beendet.

»Die größte Falle besteht im Voraussetzen«, sagt Reshad. »Wir setzen alles voraus. Wir setzen den Sonnenaufgang voraus, wir setzen voraus, dass dieser Baum morgen derselbe sein wird, der er heute ist. Aber vielleicht ist es nicht so. Wir nehmen unseren Atem als selbstverständlich, dass wir einatmen und wir wieder ausatmen werden, aber das Verstehen des bewussten Atems und seines Rhythmus ist absolut entscheidend.«

Er erzählt, wie er einmal von einer ausgedehnten Englandreise zurückkam an seine Schule in Boulder, Colorado. »Die Leute waren vollkommen aus dem Häuschen. ›Reshad kommt zurück!‹ und der ganze Unsinn. Siebenundvierzig Gäste waren zu einem besonderen Abendessen geladen. Ich setzte mich an den Tisch, litt noch am Jetlag, und die Leute fingen an, mich zu umschmeicheln. So etwas kann ich nicht leiden und finde es einfach lächerlich. Ich schaute sie an, nahm den Teller mit der warmen Suppe, die vor mir stand, und leerte sie mir über den Kopf. Alle waren schockiert – und waren wieder wach.« Was ist von solch einem Mann zu halten?

Reshad Feild in der Royal Navy

Reshad ist sehr britisch, obwohl er sagt, er lebe lange genug in Amerika, um zweisprachig zu sein. Wenn es eine Sache gibt, auf die er stolz ist, dann ist es sein ausgeprägter Sinn für innere Disziplin. »Ich weiß, wie ein Schiff zu kommandieren ist«, sagt er lachend und erzählt dann eine Geschichte aus seinen Tagen als junger Marineoffizier, als seine Disziplin noch nicht ganz so gut war. »Ich war der Navigationsoffizier für zwei Geschwader Torpedoboote im Rahmen von gemeinsamen Manövern mit amerikanischen Marineeinheiten in der Ostsee. Also legten wir ab in Richtung Kopenhagen. Ich hörte einen Ruf über die Sprechanlage: ›Feild!‹ – ›Aye, Sir!‹ – ›Geben Sie mir unsere Position!‹ Also schaute ich auf meine Radargeräte, und in genau dem Moment wurde ich seekrank… Ich sagte: ›Wir befinden uns eine Viertelminute… Sir! Backbord-Bug 20 Grad…‹, und kollabierte erneut. Kurz danach hörte ich: ›Feild!‹ – ›Sir!‹ – ›Was war nochmal unsere Position?‹ – ›Nun, jetzt sind wir fünf Winkelminuten weiter, Sir!‹ Zunächst war da ein Schweigen, das nichts Gutes erahnen ließ, und dann: ›Feild! An Deck!‹ Als ich an Deck kam, befahl der Fregattenkapitän: ›Feild, alle Maschinen stopp!‹ Also gab ich das Notsignal, und acht Torpedoschnellboote in voller Fahrt in Richtung Ostsee machten mit 40 Knoten eine Vollbremsung. Dann machte mich der Kapitän zur Schnecke: ›Feild, wissen sie eigentlich, was Sie gerade getan haben?‹ – ›Nein, Sir!‹ – ›Sie haben soeben zwei Geschwader Torpedoboote drei Meilen in ein Minenfeld hineinnavigiert! Und das in Friedenszeiten!‹« Damit war Reshads Karriere als britischer Navigationsoffizier beendet.

Es fällt ihm nicht schwer, über die Fehler, die er gemacht, und die Veränderungen, die er erlebt hat, zu lachen. Für ihn sind sie Teil der Reise. »Wenn wir uns dem Werk verpflichten«, sagt er, »verpflichten wir uns zur Veränderung. Zuallererst verpflichten wir uns zuzulassen, selbst verändert zu werden, und dann dafür, dabei zu helfen, dass echte Veränderung in der Welt um uns herum stattfinden kann. […] Es bringt überhaupt nichts vorzugeben, wir hätten uns verpflichtet, wenn wir nicht bereit sind, Veränderung und all das, was sie mitbringt, zu akzeptieren. Einen Fuß auf den Pfad zu setzen und den anderen auf der alten Straße zu belassen, macht keinen Sinn […], weil dann echter Wandel vielleicht eintritt, bevor wir bereit sind für all das, was daraus folgt.« [1]

Veränderungen? Reshad, heute 49 Jahre alt, war bereits Autorennfahrer, Antiquitätenhändler, Marineoffizier und mit der Band The Springfields [/] sogar ein Popstar. Er hat schon einiges an Kämpfen hinter sich. Dreimal bekam er Krebs und überwand ihn jedes Mal, obwohl er in einem Frühstadium die Hälfte seines Magens verlor.

Um andere Menschen zu heilen, nutzt er verschiedene Methoden, einschließlich Atemübungen, Heilmitteln aus Kräutern und Blumen, Wünschelruten sowie einer elektromagnetischen Technik, die sich Radionik [/] nennt. Er versteht Krankheit als eine Störung des elektromagnetischen Musters des Körpers, ausgelöst durch einen Schock. In unserem Interview sprachen wir ausführlich darüber.

Reshads Zeit als Künstler war mit dem Ende seiner musikalischen Karriere aber nicht vorbei. Noch heute ist er ein meisterhafter Entertainer, der seine Rollen in erhabenem und sehr schwungvollem Stil zu spielen versteht.

»Das Einzige, worüber ich sprechen muss, ist Freiheit. Und ich werde bis zu meinem Tod darüber reden. Nicht über die Freiheit von etwas, sondern über die innere Freiheit.«

Ein paar Wochen nach unserem Interview veranstaltete Reshad eine dreitägige Feier zu seinem Geburtstag und zum Abschluss eines sieben Jahre langen Zyklus seiner Arbeit, zu der mehr als einhundert Gäste kamen. Der zweite Tag näherte sich dem Sonnenuntergang, als wir uns alle auf einem grasbewachsenen Hügel mit Blick aufs Meer versammelten. Aus Schottland angereist und in voller zeremonieller Tracht angetreten war die Royal Stuart Dudelsackband. Einige Kühe schauten neugierig über das Feld zu uns herüber. Als die Sonne über dem Pazifik unterging sprach Reshad auf diesem Hügel in feierlichen Worten über die Freiheit.

»Das Einzige, worüber ich sprechen muss, ist Freiheit«, sagte er, »und ich werde bis zu meinem Tod darüber reden. Nicht über die Freiheit von etwas, sondern über die innere Freiheit. Darüber, in Freiheit zu leben, um andere befreien zu können. […] Wir müssen den Mut aufbringen zu erkennen, dass es die Göttliche Führung – oder wie immer ihr es nennen wollt – gibt; dann werdet ihr wissen, was ihr tun müsst und wo ihr zu sein habt.« Sein Ton wurde noch würdevoller. »Ich fordere euch auf, euch dem Höchsten in euch zuzuwenden. Wir werden eine neue Welt erschaffen, wir alle. Unser Verstehen wird weiterwachsen. Wir müssen mutig sagen: ›Ja! Wir werden vorwärtsschreiten für die Freiheit und nichts wird uns aufhalten!‹ Und sollte euch jemals der Mut verlassen, wie es uns allen geschieht, dann erinnert euch an den Klang dieser Dudelsäcke – dann könnt ihr gar nicht anders, als neuen Mut zu finden.«

Er begann zu lachen und gab den Dudelsackspielern ein Zeichen, »die Sonne zum Untergang zu pfeifen.« Und als sich der feuerrote Ball aufs Wasser senkte, ließen die Pfeifen den Refrain von Amazing Grace ertönen. Theater, pur und grandios.

Danach folgte ein Festessen, akzentuiert von achtzehn feierlichen Trinksprüchen, in dessen Verlauf jeder Gast, ganz besonders aber Reshad, mehr als nur ein wenig beschwipst wurde. Für den Rest des Abends war Reshad verschwunden.

Vielleicht ist das Paradox, das ich bei Reshad spürte, dasselbe wie bei allen von uns – die Gleichzeitigkeit unserer Göttlichkeit und unserer menschlichen Grenzen. Reshad verleugnet keines von beiden auf seinem Hochdrahtseilakt, den er gut meistert. Beide Aspekte sind bei ihm deutlich sichtbar. Dem Teil in mir, der über andere urteilen will, hält er den Spiegel seines Seins entgegen und dann zeigt er auf den Teil in mir, der weiß, dass ich es nicht darf. Dafür bin ihm dankbar.

Howard Jay Rubin

Reshad Feild beim Skilaufen

»Wenn wir auch nur einen Augenblick voraussetzen, wir wüssten, anstatt Vermittler für den wissenden Aspekt Gottes zu sein, leben wir nicht in der Frage, sind wir nicht im Fluss des Dienens.«

The Sun: Bevor wir mit den Fragen und Antworten beginnen, sollten wir zu verdeutlichen versuchen, was du damit meinst, wenn du davon sprichst, in der Frage zu leben.

Reshad Feild: Das, womit ich den Menschen versuche zu helfen, kommt nur aus meiner Erfahrung. Alles andere wäre im Grunde genommen gelogen. Als ich zum ersten Mal an Krebs erkrankte, realisierte ich, dass ich in Vermessenheit lebte. Da war keine »Frage«. Damals, wohlgemerkt, musste ich nichts fragen – mir wurde alles auf einem silbernen Tablett serviert. Ich hatte Geld und konnte mich jederzeit von inneren Problemen freikaufen. Fühlte ich mich krank, flog ich zum Skifahren in die Schweiz und so weiter. Das war mein Ausweg, ein billiger Weg. Ich hatte nicht wirklich eine Frage. Ich meine, ich spürte in meinem Inneren zwar eine Frage, doch wusste ich intuitiv, dass ich in Schwierigkeiten geraten würde, sollte ich sie mir tatsächlich stellen. Also kaufte ich mich immer wieder frei.

Jahre später, in meinen Dreißigern, bekam ich ein weiteres Mal Krebs. Wieder hatte ich vergessen. Alles, was mit mir zu tun hatte, schien in jeder Hinsicht koscher zu sein. Doch eines Morgens wachte ich auf, ging ins Bad und blutete aus meinem Penis. Ich war entsetzt. Zu der Zeit hatte ich kein Geld und war nicht versichert. Und wieder erkannte ich, dass ich vergessen hatte, in der Frage zu leben – was für mich gleichbedeutend mit dem Fluss des Dienens ist, dem Fluss, der in den Strom fließt, der in den Ozean der Wahrheit mündet. Nach drei oder vier Tagen wurde es so schlimm, dass ich mehrere Paar Unterhosen übereinander trug, damit es niemand mitbekam. Irgendwann ging ich dann doch zum Arzt. Der Urologe untersuchte mich, machte Röntgenbilder und erklärte mir, dass sich in meiner Blase ein Tumor gebildet habe und ich sofort unters Messer müsse. Ich sagte: »Nein. Schauen Sie, Doktor, ich habe gerade genug Geld, um Ihr Honorar zu bezahlen, aber eine Operation kann ich mir nicht leisten. Geben Sie mir drei Tage, und ich versichere Ihnen, dass ich wiederkomme, wenn es nicht aufhört.« Ich telefonierte vom Krankenhaus aus und bat einige Menschen, für mich zu beten, und zwar auf eine besondere Art, wie sie von den Sufis praktiziert wird. Die Blutung stoppte. Drei Tage später ging ich zum Arzt, er röntgte mich erneut, und da war keine Spur von Krebs mehr zu sehen. Ich war voller Demut und dankbar. Der Arzt sagte: »Ich weiß nicht, wer Sie sind, aber ich gebe Ihnen mein Honorar zurück und Sie geben es jemandem Ihrer Wahl.«

The Sun: Es war demnach keine bestimmte Frage, die du unterlassen hast zu stellen. Vielmehr sprichst du von einen allgemeinen Seinszustand?

Reshad Feild: Wenn wir nicht in der Frage leben, geraten wir ins Chaos. Und wenn wir auch nur einen Moment lang voraussetzen, wir wüssten die Antwort, leugnen wir im Grunde genommen Gott. Im Sufismus, wie in der jüdischen Tradition und vielen anderen, lautet einer der Namen Gottes »der Allwissende«. Wenn wir auch nur einen Augenblick voraussetzen, wir wüssten, anstatt Vermittler für den wissenden Aspekt Gottes zu sein, leben wir nicht in der Frage, sind wir nicht im Fluss des Dienens.

Wenn ich mit Menschen arbeite, sage ich ihnen, dass ich ihnen keine Antwort geben werde, außer vielleicht, wie sich ihr Fußpilz kurieren lässt. Was ich tue, ist, zu versuchen, sie in die Frage hineinzuführen, und wenn sie dann wirklich in der Frage angekommen sind, befreit sie das von mir als Lehrer. Dann befinden sie sich an der schnellsten Stelle des Flusses, die gleichzeitig die ruhigste ist – exakt in der Mitte.

The Sun: Viele Leute, welche die Rolle des Lehrers oder der Lehrerin spielen, neigen dazu, sie bis zum letzten Krümel auszukosten, auch wenn sie dies leugnen. Wie ist das bei dir, genießt du die Rolle und die Besonderheit, die sie impliziert?

»Ich persönlich finde es enorm herausfordernd, mit dem bisschen Wissen, das mir gewährt wurde, verantwortlich umzugehen.«

Reshad Feild: Das ist eine gute Frage. Und die Antwort lautet: Nein. Doch im Rückblick denke ich, dass ich dies vor zwanzig Jahren tatsächlich getan habe. Heute fühle ich so etwas allerdings überhaupt nicht mehr. Ich mag es, den Unterhalter zu spielen. Ich war ja früher mal im Show Business. Die meisten Leute sind so verflucht gelangweilt – also warum soll ich sie nicht unterhalten? Doch ich persönlich finde es enorm herausfordernd, mit dem bisschen Wissen, das mir gewährt wurde, verantwortlich umzugehen. Weißt du, ich habe jetzt drei Kinder, um die ich mich kümmern muss, und ich fühle mich schuldig – ich nehme an, dass ich das nicht sollte, aber es ist nun mal so –, dass mir einfach nicht genügend Zeit für meine Familie in London bleibt. Dennoch: Ich weiß, dass ich hier [in den Vereinigten Staaten] am richtigen Ort zur richtigen Zeit bin. Ich bin mir dessen sicher, und doch habe ich Schuldgefühle – ich bin ein Mensch. Nein, ich fühle mich überhaupt nicht besonders. Ich bin manchmal peinlich berührt und manchmal auch frustriert. Wir können beispielsweise durchaus die Möglichkeiten eines anderen erkennen; und wenn wir wirklich darum wissen, ist es dann frustrierend zu sehen, wie sich diese Person noch immer in einem Zustand des Verleugnens ihres eigenen Spiegels befindet, ihrer eigenen Möglichkeiten.

The Sun: Vorgestern Abend hast du davon gesprochen, dass »alles mit Spiegeln getan wird.« Lass uns darüber sprechen.

Reshad Feild: Gemäß der inneren Lehre tragen alle Sufis einen Spiegel bei sich. Als ich bei diesen Scheichs im Nahen Osten war, dachte ich erst, sie seien eitel – dauernd schauten sie in den Spiegel, auf ihren Bart oder was auch immer. Aber natürlich hatte das nichts mit Eitelkeit zu tun. Sie überprüften die Situation. Sie machten nicht ihre Schnurbärte zurecht, sondern schauten, wie ihre Augen aussahen.

Der Augenblick ist der Spiegel. Wir werden im Augenblick gespiegelt, in der ewigen Gegenwart.

Gemäß der inneren Überlieferung existieren sieben Ebenen des Spiegels. Die erste ist die, dass ich mich in dir sehe, indem ich innerlich den Gott in dir anspreche. Ich sage: »Howard«, doch gleichzeitig sage ich auch: »Oh, Du.« Und im selben Moment sage ich, wie dankbar ich dafür bin, dass Gott Sich selbst in dir vergegenwärtigt. Danach wird die Dankbarkeit, falls sie in mir ein wenig abgestorben war, wieder hervortreten.

Die zweite Ebene des Spiegels besteht darin, dass ich es mir erlaube, gesehen zu werden. Das ist schwierig. Jede und jeder fühlt sich auf eine Art hässlich oder faul oder sentimental. Wenn wir es uns gestatten, gesehen zu werden, kommt es zu einem Austausch von Energie.

Von der dritten Ebene des Spiegels sprechen wir, wenn wir beide, oder eine Gruppe von uns, es uns erlauben, durch eine Kraft oder eine Welt – welches Wort du dafür auch immer nehmen willst – gesehen zu werden, die größer ist, als wir gegenwärtig fähig sind zu verstehen.

Auf der nächsten Ebene gehen wir durch den Spiegel hindurch. Damit ist gemeint, durch oder über die Energieform hinauszugehen, oder anders ausgedrückt, hinaus über die Form von Vergleich und Zeit, wie wir sie kennen. Das Sein von dir, oder von mir, existiert bereits, bevor es aus dem Schoß des gegenwärtigen Augenblicks heraus in einen Menschen strömt, bevor wir daraus entspringen.

Die nächste Ebene hat damit zu tun, zur Gänze auf eine völlig andere Ebene von Respekt zu gelangen. Es geht nicht mehr darum, dich zu respektieren oder deinen Hintergrund oder deine Religion. Es ist vollkommener Respekt, totale Demut, vollständiges Offensein. Dann erkennen wir, dass wir respektiert werden. Das Wort stammt von re-spectare – »wiedersehen«. Wir sehen also wieder, in einem vollständig neuen Licht.

Die weiteren Ebenen sind zu komplex, als dass sie in Worte gefasst werden könnten.

Reshad Feild Portrait Illustration

The Sun:Als ich dich das erste Mal anrief, hast du dich als »Sufi im Ruhestand« bezeichnet, später als einen »Snufi«. Ich war dankbar, dass du über deine eigenen Etiketts gelacht hast. Lass uns darüber sprechen und über eines der größeren Etiketts, das wir verwenden, nämlich darüber, ob es irgendeinen triftigen Grund gibt, über einen »spirituellen Pfad« zu sprechen, der irgendwie vom Leben getrennt ist.

Reshad Feild: Zunächst einmal: Ich selbst habe mich nie als irgendetwas betitelt. Ich wurde in drei unterschiedliche Derwisch-Orden initiiert und ebenso in diverse andere Orden. Ich habe mir das nicht ausgesucht, obwohl ich mich am Anfang wahrscheinlich etwas besonders gefühlt habe – der erste Engländer zu sein, der zu einem Mevlevi-Scheich wurde, und all dies. Mir ist das heute äußerst unangenehm. Dass ich mich als »Sufi im Ruhestand« bezeichne, liegt an dem Kultstatus, den das Wort »Sufi« in den Köpfen vieler Leute mittlerweile genießt. Es ist dasselbe wie mit »Zen« in den Fünfzigern und danach »Yoga« oder was auch immer. Ich habe nichts dagegen, denn ich wurde darin ausgebildet und habe den allergrößten Respekt für die innere Bedeutung des Sufismus jenseits jeglicher Form. Das steht absolut außer Frage. Aber wenn Leute dem Sufismus irgendwelche Etiketts anheften, kann er zu einer verwässerten Version der Wahrheit werden. Beispielsweise rufen mich Leute an, die von sich erklären: »Ich bin ein Sufi.« Tatsache ist jedoch, dass kein einziger Sufi jemals von sich behaupten würde, dass er oder sie einer sei, außer um Empörung zu erzeugen. In meiner Tradition wird im Nahen Osten über einen Sufi, wenn er zu Grabe getragen wird, gesagt: »Und Gott hat sein Geheimnis gesegnet.« Und das wird respektiert, denn ein Geheimnis ist ein Geheimnis. Ich bin ein »Sufi im Ruhestand«, einfach weil ich nicht mit einem Etikett versehen werden will. Ich denke, es ist eine Begrenzung.

Nun komme ich zum zweiten Teil deiner Frage: Das durchschnittliche menschliche Wesen ist nicht geerdet. Der Zweck des Lebens auf der Erde ist es jedoch, hier anzukommen. Ich glaube, dass ein Bezugsrahmen sehr hilfreich sein kann. Der Guru mag einen Köder haben, der dich ihm folgen lässt, doch vielleicht schmeckt dir der Köder nicht, wenn du ihn geschnappt hast. Es ist wie in der Redewendung: »Wenn du den Buddha auf der Straße triffst, dann töte ihn.« In gewisser Hinsicht braucht es nicht unbedingt einen Bezugsrahmen; wenn du und ich auf diese Art und Weise miteinander reden können, ist er nicht nötig. Doch für viele Menschen ist er es – wenn du versuchst, ein Bild ohne Rahmen an die Wand zu hängen, wirst du eine Menge ausgefranster Ränder haben. Im Bereich des Heilens zum Beispiel lege ich den Leuten immer nahe, sich zuerst einen soliden Bezugsrahmen anzueignen, zum Beispiel Chiropraktiker zu werden oder dies oder das.

The Sun: Der Rahmen wäre also das Konzept des spirituellen Pfades oder eines bestimmten Weges?

Reshad Feild: Dieses Konzept ist gefährlich und eher oberflächlich, nicht wahr? Das Leben selbst bietet den Rahmen, wenn wir geerdet genug sind, das Leben zu akzeptieren und es zu leben. Wir brauchen das nicht zu erklären. Wenn mich Menschen beispielsweise fragen: »Was ist Reinkarnation?«, dann stelle ich ihnen die Gegenfrage: »Nun, was ist es denn, was da reinkarniert?« Sie können das nie beantworten. Sie sind noch gar nicht hier angekommen.

The Sun: Als Titel deines nächsten Buches hast du Schritte in die Freiheit – Die Alchimie des Herzens gewählt. Was, wenn ich zu dir komme und sage: »Nun, das hört sich schön und gut an, doch ich habe diesen Schmerz, ich fühle mich einsam. Wie kann ich also mit dieser Alchimie beginnen?«

Reshad Feild: Die Technik der Alchimie besteht aus sechs wesentlichen Schritten. Die ersten drei Schritte beinhalten die Umwandlung von Grundmetallen – psychologisch bedeutet dies die Transformation all unserer »negativen« Emotionen zu einem Gefäß oder einem Kelch, um den Geist zu empfangen. Das wird als »das Herabsteigen der gereinigten Kräfte« bezeichnet. Die Art und Weise, wie ich die Menschen unterrichte, ist ganz einfach. Ich sage: »Schau, du hast Angst. Verwandle sie in Mut. Du hast Groll oder Schmerz? Verwandle sie in Mitgefühl.«

The Sun: Klingt einfach…

Reshad Feild: Nun, es ist harte Arbeit, und das ist auch die Alchimie. Wasser zu transformieren, ist harte Arbeit, und wie du weißt, bestehen wir hauptsächlich aus Wasser. Aber es ist gute Arbeit, weil es tatsächlich der einzige Weg ist, auf dem wir irgendjemandem überhaupt helfen können. An meinem öffentlichen Vortrag am Mittwochabend fragte mich eine Frau: »Was soll ich bloß mit meiner Negativität tun?« Ich gab ihr einige Beispiele, etwa was wir tun können, wenn wir uns etwas vorgenommen haben, es aber einfach nicht hinbekommen und wir uns wirklich schlecht dabei fühlen. In dem Fall müssen wir unsere Absicht neu formulieren, sagte ich zu ihr, die Klärungsübung machen und dann hinausgehen und die Absicht umsetzen. Jeder Tag ist ein neuer Tag. Selbstverständlich ist es harte Arbeit, aber du nimmst dich zusammen und tust es einfach.

»Das innere Herz wird zu deinem Herzen, das nicht mehr länger dein Herz ist, wenn alle Konzepte von Sentimentalität und negativen Emotionen im Fluss des Dienens transformiert werden.«

Ich spreche hier über das Herz. Ich spreche vom inneren Herzen. In der inneren Tradition des Sufismus wird es »der sehr, sehr geheime Ort« genannt. Das innere Herz wird zu deinem Herzen, das nicht mehr länger dein Herz ist, wenn alle Konzepte von Sentimentalität und negativen Emotionen im Fluss des Dienens transformiert werden. Das ist die Bedeutung der Alchimie des Herzens. Sufismus wird häufig als »die Alchimie des Herzens« bezeichnet.

The Sun: Was schnürt zurzeit dein Herz am meisten ein und blockiert es, und wie gehst du damit um?

Reshad Feild: Ich habe meine Kinder seit zweieinhalb Jahren nicht mehr gesehen und das finde ich äußerst aufreibend. Ich habe mich noch immer nicht damit abgefunden, dass wir, um tatsächlich in den Fluss des Dienens zu gelangen, wirklich alles aufgeben müssen. Das hat sehr lange mein Herz blockiert. Sie sind in England, und ich bin zehntausend Kilometer von ihnen entfernt. Und dann erkannte ich, dass ich sogar meine Kinder »aufgeben« musste, und mein Herz öffnete sich wieder. Unterdessen würde ich sagen, dass mein Herz nur dann blockiert ist, wenn ich einen Fehler gemacht, ein Urteil über etwas oder jemanden gefällt habe. Ich gehe damit so um, wie ich es anderen empfehle und eben erwähnt habe: Es nennt sich »die Klärungsübung«, und ich praktiziere sie jeden Abend.

Bevor du zu Bett gehst, entscheidest du dich, wann du am nächsten Morgen aufstehen willst. Das klärt schon mal eine Menge, nicht wahr? Dadurch überwindest du deine Faulheit. Dann entscheidest du dich für eine Sache, die du am nächsten Morgen erledigen willst; es kann so etwas Einfaches wie Schuheputzen sein. Du entscheidest, wann du es tun wirst, und stellst dir genau vor, wie du es tust. Und praktiziere folgende Übung: Liege auf deinem Rücken und entspanne den ganzen Körper. Bring deine Aufmerksamkeit zu deinen Fußsohlen und erinnere dich an den Moment, als du am Morgen aufgestanden bist. (Am Morgen, übrigens, wenn du aufstehst, sei bereit dazu, und falle nicht einfach aus dem Bett. Wenn deine Fußsohlen den Boden berühren, sag innerlich: »Möge es mir heute erlaubt sein zu dienen.« Dann sprich ein Gebet, aus welcher religiösen oder spirituellen Tradition du auch immer kommst. Ich zum Beispiel bete das Vaterunser.)

Also, du liegst abends auf dem Rücken und bringst dein Erinnerungsmuster zu dem Augenblick zurück, als du am Morgen deine Fußsohlen auf den Boden gesetzt hast – diese repräsentieren den Morgen, den ersten Bodenkontakt. Dann lässt du die Energie durch deinen Körper hinauffließen, und bei jeder Erinnerung, die vom vergangenen Tag auftaucht, sagst du: »Danke« – »Danke, Vater« oder »Danke, Gott« oder was auch immer. Du lenkst die Energie also den Körper hinauf mit den Erinnerungen seit dem Moment deines Aufstehens und sagst: »Danke«, »danke«, »danke«, bis zur Krone deines Kopfes. Du befindest dich noch immer in horizontaler Lage. Dann wiederholst du diesen Vorgang und wirst weitere Dinge finden, für die du dich noch nicht bedankt hast. Und dann gehst du ein drittes Mal durch deinen Körper. Und auch falls du irgendetwas vergessen hast, hast du dennoch einen guten Job gemacht. Nun kannst du einschlafen, und am nächsten Morgen beim Aufstehen sagst du, wie ich eben erklärt habe: »Möge es mir heute erlaubt sein zu dienen.« Diese Danksagung, diese Dankbarkeit, ist der Schlüssel zu echtem Willen.

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»Ich lache über alles, weil mein Herz vor Lachen sprudelt. Ich erkenne den großen Witz.«

The Sun: Du hast eine Stiftung namens Chalice gegründet und schreibst, sie solle dabei helfen, dass wir das Wissen über Transformation in unserer Arbeit nutzen, egal was auch immer unsere Arbeit sein mag. Angenommen, ich bin ein Schreiner oder eine Busfahrerin – wie kann ich dieses Wissen anwenden? Wie setze ich das Wissen über Transformation in meinen Job als Busfahrer um?

Reshad Feild: Zunächst musst du dir dieses Wissen über die Verwandlung aneignen, nicht wahr? Es handelt sich um das Wissen von den Energien oder Aspekten der einen Energie – die letzten Endes reine Liebe ist –, die es braucht, damit Transformation möglich wird.

Vor vielen Jahren lebte in England ein Mann namens Max Busby, ein großer Alchimist.[2] Weißt du, was er machte? Er wusste um das Geheimnis und ihm war klar, dass es egal ist, worin man es umsetzt, sei es im Schreinern, in der Malerei oder beim Kochen. Er verwirklichte es mit Kieselsteinen. Er sammelte Steine aus dem Meer und brachte das Geheimnis in die Kieselsteine. Man nannte sie »Busby-Kiesel«. Er gestaltete sie ganz individuell (genau wie in der Zen-Kunst, in der niemals etwas wiederholt wird; ich selbst gebrauche dazu alle möglichen Arten von Dingen: Papier, Wassergläser…) Er brachte die ›Zutat‹ für den bestimmten Menschen, um den es ging, in einen Kieselstein hinein, und du kannst dir nicht vorstellen, was geschah.

Ich habe es kürzlich selbst ausprobiert: In meinem Garten hier hatte ich Taschenratten, welche die Pflanzen annagten. Weder wollte ich mir das noch länger mitansehen, noch die Tiere töten, also nahm ich lediglich drei Steine, platzierte sie im richtigen Muster und die Nager haben den Garten verlassen.

Du kannst es wirklich in allem umsetzen – in der Poesie, im Liebemachen, beim Kochen, wenn du die Hand eines anderen Menschen hältst, einfach in allem.

Wenn wir in der Frage leben, werden wir zweifellos die Antwort erhalten, ob sie uns nun gefällt oder nicht; und häufig gefällt sie uns nicht. Doch auch dann akzeptieren wir sie, weil wir dankbar entgegennehmen, was wir brauchen, um zu dienen.

Ich erinnere mich an John G. Bennett, der viele außergewöhnliche Bücher schrieb und in unserer Generation wahrscheinlich der größte Meister im Westen war und ein guter Freund von mir. Diese Geschichte aus seinem Leben illustriert, wie wir von Sentimentalität gefangengenommen werden können. Gegen Ende seines Lebens gründete er ein Institut, in dem hundertzwanzig Studenten und Studentinnen wohnen und arbeiten konnten. Es war ein großartiges Experiment, die Menschen kamen aus allen Teilen der Welt. Zehn Tage bevor das Institut seine Arbeit aufnehmen sollte, wurde er krank. Ich war bestürzt und machte mir Sorgen. »Dieser Mann hat sein ganzes Leben dem Dienen gewidmet und nun ist er krank geworden«, dachte ich. Was für eine lächerliche Sentimentalität. Ich schickte ihm zusammen mit einer Nachricht etwas Honig, Blumen und andere Aufmerksamkeiten. Und er antwortete: »Lieber Reshad, ich danke dir für dein Mitgefühl, aber das ist genau das, was ich für meine Arbeit brauche. Dein J.G. Bennett.«

»Wenn wir in der Frage sind, erhalten wir alles, was wir brauchen, doch nicht unbedingt das, was wir uns wünschen.«

Anders ausgedrückt: Wenn wir in der Frage sind, erhalten wir alles, was wir brauchen, doch nicht unbedingt das, was wir uns wünschen.

The Sun: Sag mir, was du mit »bewusst leben« meinst.

Reshad Feild: Genau in diesem Augenblick hast du deine Hand von links nach rechts bewegt, den Stift in deiner Linken. Ich habe deine beiden Augen beobachtet und deine beiden Füße. Ich war wach für meinen einen Fuß hier auf dem Boden und für meinen anderen hier auf dem Stuhl. Ich war mir bewusst, dass ich durch meine Brille blicke, und auch des Glases in meiner linken Hand – alles gleichzeitig und in Dankbarkeit. Das alles geht in Richtung »bewusst sein«, ist aber noch nicht bewusst sein. Bewusst zu sein, geht weit darüber hinaus.

Deine Leserschaft mag Folgendes möglicherweise nicht als »bewusst sein« akzeptieren, aber ich erzähle die Geschichte trotzdem: Als J.G. Bennett zum ersten Mal seine Gruppe von Initiierten um sich herum versammelte, ließ er sie alle aufstehen und ihre Arme horizontal ausstrecken (Reshad demonstriert dies, indem er seine Arme auf Schulterhöhe gerade ausstreckt und diese Position für die nächsten fünf Minuten unseres Gesprächs beibehält.) Und auch Bennett selbst stellte sich genauso hin, und dies im Alter von dreiundsiebzig Jahren, vor all den amerikanischen, australischen und englischen Machos. Er stand da eine halbe Stunde, vierzig Minuten, bis alle anderen außer ihm selbst kollabierten, die Hälfte von ihnen in Tränen aufgelöst. Nun, was ist es, was es mir ermöglicht, die Arme ohne irgendwelche Probleme oben, in dieser Position zu halten? Der Grund dafür ist, dass ich meinen Körper trainiert habe, das zu tun, was er tun soll, und auch meine Emotionen. Es mag höllisch wehtun, aber ich habe Körper und Emotionen dafür trainiert. Das ist Wille – keine Eigenwilligkeit, sondern absolute Dankbarkeit. Ich habe meinen Körper bereits zurückgegeben, noch bevor er stirbt. Mein Körper wurde dieser Person gewährt, damit sie das größere »Ich bin« durch das geringere »ich bin« zum Ausdruck bringt, diesem Jemand mit dem Namen Reshad Feild. Meine Arme können eine Stunde lang in dieser Position verharren. Der Körper muss tun, wozu ich ihn anweise. Es gleicht dem Training eines Papageis.

The Sun: Für einen Sufi im Ruhestand hast du einen sehr vollen Terminkalender. Lass uns ein wenig über deine Arbeit sprechen, beginnend mit dem Heilen. Lass uns im Besonderen darüber reden, worum es beim »inneren Heilen« geht.

Reshad Feild: Über einen Großteil meines Wissens über bewusste Geburt, bewussten Sex und bewussten Tod – was alles mit innerem Heilen zu tun hat – habe ich in meinem letzten Buch Wissen, dass wir geliebt sind geschrieben. Doch lass mich deine Frage folgendermaßen beantworten: Inneres Heilen dient letzten Endes nur einem einzigen Zweck – zu wissen, dass wir geliebt sind. Das habe ich schon früh herausgefunden bei meinen eigenen Krebserkrankungen und all den Dingen. Doch wie du weißt, lache ich jetzt gerne. Ich lache über alles, weil mein Herz vor Lachen sprudelt. Ich erkenne den großen Witz. Ich sehe, wie wir unser eigenes Buch schreiben. Ich begreife, dass wir es verfassen, während wir weitergehen. Und wir können es in unserem Weitergehen nicht verfassen, solange wir noch nicht wissen, dass wir geliebt sind. Wir würden bloß unser Ego erfinden, es wieder und wieder neu erfinden. Doch wenn du einmal weißt, dass du geliebt bist, wenn dir dieses Wissen präsent ist, dann ist das, konkret gesagt, inneres Heilen.

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Ich beschäftige mich nun seit etwa zwanzig Jahren mit Heilen. Ich erzähle dir eine Geschichte, wie sie für mein Leben typisch ist. Letztes Jahr kam ein Mann zu mir, dessen ganzer Körper vom Krebs befallen war. Ich konnte nichts für seinen Körper tun. Als er zu mir kam, hatte er Schmerzen. Doch seine Schmerzen verschwanden sehr schnell, als er verstand, dass es einen Menschen gab, der ihm zur Seite stand. Es ist möglich, Schmerzen zu ertragen, wenn du weißt, dass da jemand an deiner Seite steht. Er rief mich später an und fragte mich, ob er mich besuchen kommen dürfe. Selbstverständlich bejahte ich seine Frage. Wir alle waren von ihm berührt. Als er ankam, konnte er kaum aus dem Auto klettern. Ich ging hinaus und hielt ihm die Wagentür auf. Wir betraten das Haus und er sagte: »Ich bin gekommen, um mich bei dir zu bedanken und mich zu verabschieden.« Tags darauf starb er, in absoluter, vollendeter Freiheit – weil er wusste, dass er geliebt war. Das ist inneres Heilen. Wenn du deinen Bruder und deine Schwester im gegenwärtigen Augenblick lieben kannst, führst du das geistliche Amt Christi fort. Das ist alles, was »inneres Heilen« wirklich bedeutet. Was die Methoden angeht, gilt, wie man hier in Amerika sagt: »Unterschiedliche Hiebe für unterschiedliche Diebe.« [3] Wenn wir in der Bibel nachschauen, so hat Jesus nie zweimal auf dieselbe Weise geheilt. Und auch ich tue es nicht. Alles kommt aus meinem absoluten Respekt für jeden einzelnen Menschen, für das Sein Gottes in jedem Individuum.

The Sun: In Wissen, dass wir geliebt sind sagst du, dass Heilen nicht in jedem Fall bedeutet, dass der Körper geheilt wird. In der Geschichte von John in diesem Buch bedeutet Heilung tatsächlich, dass er sich für einen bewussten Tod öffnet. Kannst du uns davon erzählen, inwiefern der Tod ein Heilungsprozess sein kann?

Reshad Feild: Wir stehen dem Tod gegenüber. Sich dem Tod stellen, heißt, in den Spiegel zu schauen, sich selbst wirklich im Spiegel zu erkennen. Und wo ist der Spiegel? Es ist kein Stück glänzenden Stahls. Wenn ich hier sitze, bist du mein Spiegel. Kann ich mich mir selbst stellen? Bin ich aufrichtig? Du bist in diesem Augenblick mein Spiegel, also stehe ich meinem eigenen Tod gegenüber. Ich kann mich an diesen Augenblick und alles, was damit zu tun hat, erinnern, angefangen von den Bücherregalen bis hin zum Klappern der Schreibmaschine. Alles auf einmal.

»Ich habe keine Angst vor dem Tod. Ich begrüße ihn als ein freudiges Fest.«

The Sun: Hast du gar keine Angst vor dem Tod?

Reshad Feild: Nein. Die einzige Angst, die ich habe, bezieht sich auf Schmerzen. Ich persönlich habe eine sehr niedrige Schmerzgrenze. Aber ansonsten habe ich keine Angst vor dem Tod. Ich begrüße ihn als ein freudiges Fest.

The Sun: Lass uns über deine Sicht auf die Ursachen von Krankheiten sprechen und darüber, in welchem Ausmaß wir unsere eigenen Krankheiten erzeugen und unsere eigene Heilung.

Reshad Feild: Eigentlich ist es nicht so, dass wir unsere eigenen Krankheiten produzieren. Wir wiederholen lediglich ein Muster, das bereits etabliert ist. In der Mevlevi-Tradition gibt es eine Redensart, die besagt, dass Erwartung der »rote Tod« ist. Die meisten von uns wurden mit Erwartungen erzogen. Wir sollten irgendetwas tun oder werden. Diese Erwartung setzt ein Muster für unser Leben. Der rote Tod der Erwartung ist das, was einen Menschen erstickt.

Wer über Wissen verfügt, erwartet nichts. Ich weiß nicht, was im nächsten Moment geschieht, doch ich erwarte nichts. Es ist sehr wichtig, sich das Wort »erwarten« zu betrachten. Ich war einmal ein Autorennfahrer und wenn ich Rennen fuhr, konnte ich nicht erwarten, dass der Motor ausfallen oder es zu einem Unfall kommen würde. Alles, was ich tun konnte, war, meinen Körper dafür zu trainieren, den Wagen auf der Strecke zu halten. So ist das Leben.

The Sun: Wie beeinflussen Erwartungen unsere Krankheiten?

Reshad Feild: Es ist ein Muster. Lass mich dir zur Verdeutlichung eine Geschichte erzählen: Einmal kam eine Frau zu mir; ich glaube, sie war erst siebenundzwanzig Jahre alt. Sie hatte Gebärmutterkrebs und ihr sollte die Gebärmutter entfernt werden. Übrigens ist meine Arbeit keine Alternative zur ärztlichen Behandlung! Ich respektiere den Arztberuf. In England arbeite ich mit einem Ärzteteam zusammen, und falls ich es kann, füge ich einfach ein bisschen etwas hinzu. Ich fertigte also für diese Frau eine Analyse an – die Methoden sind allerdings zu komplex, als dass ich hier darüber sprechen könnte – und fand heraus, dass sie im Alter von fünfeinhalb Jahren einen sexuellen Schock erlitten hatte. Einen sexuellen Schock mit fünfeinhalb? Ich wusste nicht, wie sie herausbekommen sollte, worum es sich handelte. Sie konnte sich an absolut nichts erinnern. Ich fragte sie: »Suzanne, kannst du dich daran erinnern, was dir im Alter von fünfeinhalb zugestoßen ist?« Nein, sie konnte es nicht. Nun ist es so, dass ich auch eine Ausbildung darin habe, Menschen in einen Zustand zu versetzen, in dem sie bewusst träumen können. Also erklärte ich ihr, ich sei sicher, dass die Analyse mir die korrekte Antwort geliefert habe, und bat sie, davon zu träumen.

Am nächsten Tag rief sie mich an und erzählte, sie habe nun alles gesehen (allerdings nicht als Traum im Schlaf): Sie konnte sich vollständig daran erinnern, was damals passiert war, als sie mit ihrem Bruder im Teenageralter unter der Dusche gestanden hatte. Ich kenne nicht alle Details, doch die Schuld, die sie fühlte, brachte sie dazu, jenen Augenblick der Zeit zu blockieren. Wir nennen es, ein »Einschnüren eines zeitlichen Moments«. Dieser Zustand verursachte ein Schockmuster. Das allein braucht nicht notwendigerweise Verletzungen hervorzurufen. Ich fragte: »Suzanne, hat es dir gefallen?« Sie antwortete: »Ja.« In ihrem späteren Leben wurde sie zweimal vergewaltigt, bevor sie an Krebs erkrankte. Wenn ich also sage, dass sie ihre eigene Vergewaltigung »ausgelöst« hat, meine ich dies nicht im konkreten Sinn, sondern dahingehend, dass dieses Anziehungsschockmuster nicht nur zu ihren Vergewaltigungen, sondern auch zu ihrem Krebs geführt hat. Und an welcher Stelle hatte sich ihr Krebs entwickelt? Genau an der Stelle, von wo aus sie ihn ›anzog‹. Ich sprach also mit ihr und wir arbeiteten zusammen. Drei Wochen später hatte sie keinen Krebs mehr.

The Sun: Wenn ich dich also richtig verstehe, ist es das Zusammenziehen um einen Augenblick des Schocks herum, das auf irgendeiner Ebene eine Erwartung etabliert, die später eine Krankheit hervorrufen kann?

Reshad Feild: Genau. Und was wir eigentlich anziehen, wenn wir uns zusammenziehen, ist eine unerlöste Gedankenform. Ich hatte das Privileg, einige Zeit mit Krishnamurti [/] verbringen zu dürfen. Als wir uns das erste Mal begegneten, sagte er zu mir: »Weißt du, eine Gedankenform stirbt niemals.« Das war eine äußerst wichtige Aussage. Aber eine Gedankenform kann erlöst werden.

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»Wenn wir uns dem Leben verpflichten, kommt alles im Leben an die Oberfläche, und dann erhalten wir die Chance der vollständigen Erfüllung dessen, was von uns verlangt wird.«

The Sun: Wenn ich in diesem Augenblick einen Schock erlitte, sagen wir, ich würde in den Arm gestochen, wäre es wichtig, sich nicht um diesen Schock herum zusammenzuziehen, sodass sich solch ein Muster gar erst nicht etablieren kann?

Reshad Feild: Ja. Wir sollten begreifen, dass jede uns gegebene Erfahrung ein bewusster Schock zum Besseren sein kann, anstatt der Welt die Schuld dafür zu geben. Wenn wir vom Fahrrad fallen, kann das durchaus nützlich sein, sogar, wenn wir uns dabei den Arm brechen – es kann uns lehren, bei der nächsten Fahrt mehr achtzugeben. Aber wenn wir der Welt die Schuld dafür geben, führt das bloß zu noch mehr Ärger.

The Sun: Was wäre, wenn ich zu dir käme und sagen würde, ich brauche Heilung. Sagen wir, ich hätte ein Lungenproblem. Wie kann ich damit beginnen, das Muster zu befreien, das dieses Problem bei mir verursacht hat? Was wäre das Erste, was du zu mir sagen würdest.

Reshad Feild: Als Allererstes sage ich: »Danke.« Wenn du mit Hämorrhoiden zu mir kämst, würde ich Danke sagen. Wenn du mit Krebs zu mir kämst, würde ich Danke sagen. Der Schmerz ist eine Visitenkarte. [4] Er ist nur eine Manifestation des Problems. Ich gebe nicht vor, ein Heiler zu sein, der bloß seine Hand aufzulegen braucht, und alles ist erledigt. Es funktioniert nicht auf diese Art. Ich sage Danke und: »Lass es uns anschauen.« Wo kommt es her? Es könnte im physischen Körper stecken; in dem Fall kann ich wahrscheinlich nur wenig ausrichten. Doch möglicherweise könnte ich dennoch helfen. Danach befasse ich mich mit der Situation der Einzelnen und sage ihnen, dass ich mich ihrer für drei Monate annehme. In dieser Zeit überprüfe ich sie täglich »aus der Ferne« und werde mein Bestes tun, um das Problem zu entschlüsseln. Es braucht Gegenseitigkeit. Meine Forderung an sie lautet, dass sie während dieser Periode mindestens alle zwei Wochen einmal bei mir vorstellig werden, mit mir sprechen und erklären, wie es ihnen geht. Auf diese Weise kommt eine Wechselwirkung zustande, so wie wir jetzt miteinander gesprochen haben. Auch hier findet Heilung statt.

Letztes Jahr gab ich einen Heilkunde-Kurs, an dem viele Menschen teilnahmen, die ich tagtäglich untersuchte. An einem Tag, kam keine einzige Person zwecks Heilung zu mir. Das war der Tag, an dem die Amerikaner ihren Space Shuttle starteten. Warum? Alle schauten nach oben, um zu sehen, was geschah, und sie vergaßen ihre Schmerzen. Diese Haltung lehre ich die Menschen. Ich habe Bauchschmerzen und sie verfolgen mich seit bald dreißig Jahren. Ich habe mich daran gewöhnt. Auch ich blicke nach oben – nicht, um dieser Welt zu entfliehen, sondern um zu erkennen, was ich tun muss.

The Sun: Wie verhilfst du den Menschen dazu, dass sie ihre Schmerzblockaden selbst lösen können?

Reshad Feild: Ich bringe Menschen bei, richtig zu atmen. Die Methode ist für jede Person maßgeschneidert. Wenn jemand ein sexuelles Problem hat – eine vernachlässigte Situation –, würde ich dieser Person eine bestimmte Art zu atmen beibringen. Wenn mit ihnen etwas anderes nicht stimmt, ist es eine andere Art des Atmens. Ich gebe ihnen diese besonderen Atemmuster zusätzlich zum 7-1-7-1-7-Rhythmus, über den ich in meinem Buch geschrieben habe. Letzterer ist für jeden Menschen hilfreich. (Reshad beschreibt diesen Rhythmus, den »Mutteratem«, in Wissen, dass wir geliebt sind: Einatmen und bis sieben zählen, einen Atemzug pausieren, beim Ausatmen bis sieben zählen, wieder einen Atemzug Pause einlegen und den Zyklus wiederholen.)

The Sun: Sogar in deinen in Großbuchstaben geschriebenen Worten erkenne ich eine echte Leichtigkeit und einen Humor in deinem Ansatz. Wie kitzelst du dich, wenn du allzu ernst wirst?

»Nur dann, wenn Gott uns Wissen gewährt und wir dieses gewissenhaft einsetzen wollen, sollten wir meiner Meinung nach ernst sein.«

Reshad Feild: Ich trete mir selbst in den Hintern, wenn ich zu ernst bin. Nur dann, wenn Gott uns Wissen gewährt und wir dieses gewissenhaft einsetzen wollen, sollten wir meiner Meinung nach ernst sein. Das muss ernsthaft getan werden, doch braucht es auch Leichtigkeit. Wir sind ein Licht. Wir sind ein Funke der Göttlichen Flamme.

The Sun: Doch im Prozess der spirituellen Arbeit werden wir häufig schwer…

Reshad Feild: Ich kann mich nur an ein einziges Mal in den letzten Jahren erinnern, an dem ich zu ernst war. Ich war in einem tibetanischen Kloster. Stundenlang wartete ich auf mein Interview mit dem Lama und ich erwartete eine ganze Menge – eine Explosion von Sonnenlicht oder dergleichen, etwas, was meine Seele erleuchten würde. Dann war es so weit, das Interview begann. Der Lama schaute mich an und sagte: »Du bist zu überschäumend. Alles, was du jetzt tun musst, ist einzuatmen, um auszuatmen. Jetzt geh’ und atme.« Ich begann mit sechs Stunden täglich, dann acht, dann neun Stunden am Tag. Wenn du danach noch immer keinen Sinn für Humor hast…

Ich saß in der Meditationshalle und irgendwann – und dies mag verrückt klingen – sah ich Schlangen und alles Mögliche, das mir Angst machte. Ich war wie versteinert, konnte mich nicht bewegen. Am nächsten Morgen wurde mir ein Interview mit dem Lama gewährt und ich erzählte ihm, wie alles aus dem Elementarreich hochgekommen war, vor dem ich mich fürchtete. Er rief: »Gut! Jetzt atme weiter.«

Wenn wir uns dem Leben verpflichten – und dafür ist ein Lehrer ziemlich nützlich –, kommt alles im Leben an die Oberfläche, und dann erhalten wir die Chance der vollständigen Erfüllung dessen, was von uns verlangt wird.«

The Sun: Du hattest im Laufe der Jahre einige Auseinandersetzungen – mit deinen Lehrern wie auch mit anderen Menschen, weil du dich, wie du es ausdrückst, nicht so verhalten hast, wie sie es von dir erwarteten. Was bringt dich in Schwierigkeiten?

Reshad Feild: Ich gerate in Schwierigkeiten, weil ich weiß – und das sage ich in aller Bescheidenheit –, dass mich niemand anlügen kann. Wenn mir jemand Lügen auftischt, bringe ich mich selbst in Schwierigkeiten, weil ich diese Lügen nicht bezeuge, ich bezeuge ausschließlich die Wahrheit. Ich gerate in Schwierigkeiten, weil ich nicht das bin, was die Leute von mir erwarten. Weil sie einfach keinen Spiegel wollen. Wenn ich in Wahrheit lebe, kann ich die Wahrheit in anderen erkennen. Ich sehe die Wahrheit in dir und ich weiß, dass du aufrichtig bist. Mit dir werde ich nicht in Schwierigkeiten geraten. Wenn jemand zu mir kommt, die oder der nicht die Wahrheit spricht, verursache ich für mich selbst eine Menge Schwierigkeiten.

Die Leute werfen mir mal dies, mal jenes vor. Aber es bedeutet mir nichts. Es bedeutet ihnen etwas, und das ist ihr Problem. Sie haben nicht genügend Großzügigkeit oder nicht genügend Mitgefühl, sie haben zu viel Angst oder was auch immer. Doch mich für ihre Problem verantwortlich zu machen, ist unangemessen.

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Foto-Illustrationen: Chalice Verlag

The Sun: Du gerätst auch in Schwierigkeiten, wenn Menschen dich etwas tun sehen, was sie nicht erwarten, beispielsweise eine Zigarette rauchen oder Alkohol trinken.

Reshad Feild: Ich wusste, dass du das fragen wirst. Ich würde niemandem raten, Zigaretten zu rauchen. Bei mir ist es so, dass ich an einem Tag rauche, an einem anderen Tag nicht. Es bedeutet mir absolut nichts. Dasselbe trifft auf Alkohol zu. Es ist wichtig, dass wir Mitgefühl für die Situation anderer Menschen haben. Beispielsweise kann ich Drogen nicht ausstehen. Wenn ich zum Beispiel Marihuana nur schon rieche, laufe ich aus dem Zimmer. Andere Leute mögen es nicht, wenn ich ein blutiges Steak esse. Wir müssen Mitgefühl haben. Ich rate niemanden zu gar nichts. Alles, wozu ich rate, ist Mitgefühl. Es ist nicht richtig, irgendeine Methode als Entschuldigung dafür zu missbrauchen, dass wir uns uns selbst nicht stellen. Aber ich habe Menschen gekannt, die einige außergewöhnliche Dinge getan haben und doch fähig waren, ihren Lebenszyklus zu vollenden.

Dies in deinem Magazin zu schreiben, mag sich so anhören, als ob ich sage, du kannst tun, was immer du willst, wenn es nur um des Augenblicks wegen getan wird. Nein. Wenn ich bewusst bin, kann ich Alkohol zu mir nehmen und ihn transformieren. Wenn ich es nicht bin, kann ich dies nicht. Es gab Zeiten, als ich es nicht konnte. Heute gibt es Momente, in denen ich dazu in der Lage bin. Aber ich rate in keiner Weise dazu.

The Sun: In deinem letzten Buch, Wissen, dass wir geliebt sind, beeindruckte mich die Tiefgründigkeit der Liebesbeziehung zwischen der Figur, die auf dir selbst beruht, und der Frau namens Nur. Mit dieser Frau bist du heute nicht mehr zusammen. Wie vereinbarst du es mit dir selbst, wenn deine romantischen Vorstellungen mit dem in Konflikt geraten, was dann tatsächlich geschieht?

Reshad Feild: Viele Leute fragen mich, wer Nur ist. Nur repräsentiert das Destillat der Frau und letztendlich meinen totalen Respekt für Frauen. Daher ist auch Penny (die Frau mit der Reshad heute zusammenlebt) Nur. Wenn ich Penny im Stich ließe, würde ich mir große Sorgen um meine eigene Gesundheit machen. Ich habe viele Fehler begangen, viele. Penny ist selbstverständlich Nur, und wir führen seit einigen Jahren eine unglaubliche Beziehung. Fehler habe ich zur Genüge gemacht.

Mein Respekt, mein Verständnis und meine Liebe für Frauen rühren daher, dass die Anima meines eigenen Herzens, meines eigenen Wesens, endlich im Gleichgewicht ist – sie war immer größer als mein männlicher Aspekt.

Ich respektiere Penny als meinen Spiegel. Wenn sie mich anschreit, auch wenn sie zu weit geht, respektiere ich sie trotzdem. Es gibt nichts, was von der Wahrheit getrennt ist. Es gibt nichts, das von meiner persönlichen Bestimmung, den Lauf meines Lebens zu vollenden, getrennt wäre. Wenn eine Romanze, oder, um ein besseres Wort dafür zu nehmen, eine Anziehung in mein Leben tritt, bitte ich zunächst einmal höflich, dass sie mich wieder verlässt. Und falls sie es trotzdem nicht tut, schreie ich: »Raus!«

»Es gibt nur eine Frau. Es gibt nur einen Mann. Es gibt nur ein absolutes Sein. […] Und natürlich gibt es auch nur einen einzigen Lehrer, nämlich Gott.«

The Sun: In dem Buch wird gesagt, dass es wichtig sei, mit dieser einen Frau zusammenzubleiben.

Reshad Feild: Es gibt nur eine Frau. Bis wir dies akzeptieren können, bekommen wir viel Ärger und es verursacht uns viele Schwierigkeiten. Es gibt nur eine Frau. Es gibt nur einen Mann. Es gibt nur ein absolutes Sein.

The Sun: Du hast eine Reihe an Ehen und Beziehungen hinter dir. Wodurch funktionieren sie und was lässt sie auseinanderfallen?

Reshad Feild: In dem Moment, in dem wir uns verpflichten, tritt das ein, was wir »die verneinende Kraft« nennen. Sie prüft uns durch Auseinandersetzungen und dergleichen. Ich würde meine erste Ehe in dieser Hinsicht nicht einschließen, weil es eigentlich keine Ehe war – wir alle machen Fehler. Ich habe einen wunderbaren Sohn aus dieser Ehe. Ein Kind wählt sich seine Eltern, und ich weiß wirklich nicht, warum er sich für uns entschied. Dass ich in meiner zweiten Ehe versagte – und ich akzeptiere, dass ich versagt habe –, lag daran, dass ich meine Hausaufgaben nicht gemacht habe. Nach all dem, was mein Lehrer mir beigebracht hatte – und natürlich gibt es auch nur einen einzigen Lehrer, nämlich Gott –, habe ich nicht ausreichend Hausaufgaben gemacht bezüglich der Sache, die sich »Verpflichtung« nennt. Indem wir uns verpflichten, bestimmen wir, dass uns nichts dabei aufhalten wird, auf Kurs zu bleiben.

The Sun: Aber was geschieht, wenn wir uns etwas Falschem verpflichtet haben?

Reshad Feild: Zuallererst müssen wir uns fragen, wofür wir uns verpflichten wollen. Ich beispielsweise bin Autor, habe mich aber jahrelang geweigert, einer zu sein. Ich wollte wirklich vieles sein, aber kein Schriftsteller. Dann fragte ich, was mir Gott als Manifestation des Rahmens meines Dienens zu tun aufgetragen hat. Es mag absolut nicht das sein, was ich zu tun gedachte. Wir fragen und wir finden es heraus. Ich weiß, dass ich als Autor am besten bin. Wenn ich mich an die Schreibmaschine setze, finde ich meine Erdung. Dein Rahmen ist deine Erdung.

© The Sun / Howard Jay Rubin, 1983, 2021
Abdruck mit freundlicher Genehmigung

Deutsche Übersetzung © Chalice Verlag

Anmerkungen

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[1] Diese Textpassage stammt aus dem Manuskript des Buch Steps to Freedom, das kurz nach diesem Interview erstmals erschien. Siehe neueste deutsche Ausgabe, Seite 24 [Anmerkung der Übersetzer].

[2] H.O. Busby (1878–1969) war ein australischer Wünschelrutengänger, der Kieselsteine mittels Grafiken, die auf »kosmischen Zahlen« basierten, energetisch auflud und sie für Heil- und Geomantiezwecke nutzte [A.d.Ü.].

[3] “Different strokes for different folks.” Ein in den 1960er-Jahren in den USA im Umlauf gekommenes Sprichwort, dass anscheinend erstmals vom Boxer Muhammed Ali 1966 in einem Interview verwendet wurde [A.d.Ü.].

[4] Zum Thema »Schmerz als Visitenkarte« schreibt Reshad Feild unter anderem in Mit Achtsamkeit durchs Leben – 39 Schritte in die Freiheit, Kapitel »Bewusstes Leiden«, Seite 99 ff, sowie in Die Alchimie des Herzens, Kapitel »Schmerz«, in Gesammelte Werke, Band II, Seite 1040 ff.