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Cynthia Bourgeault

»Keines dieser Dinge wird sterben«

Zwei Wanderer auf einer Klippe
Foto: Pexels / Valdemaras D.

In dem hier transkribierten Video spricht Cynthia Bourgeault, die Autorin von Jesus: Meister der Weisheit und Dozentin am Center for Action and Contemplation [/], darüber, weshalb der Tod nichts ist, wovor wir uns fürchten müssen. Die tiefste Herzenssehnsucht, die tiefste Liebe, die tiefste Freundschaft – keines dieser Dinge wird sterben

 

as am Tod vertrauenswürdig ist? Und worauf wir nicht vertrauen können?« Der Tod ist die einzige Sache auf der Welt, die endgültig und gewiss ist. Er kommt zu gegebener Zeit zu jeder und jedem von uns.

Ein siebenminütiges Video aus dem YouTube-Kanal des Center for Action and Contemplation [/]

Für mich beginnt alles mit jener tiefgründigen und wunderschönen Zusicherung: »Ob ich lebe oder sterbe, ich gehöre dem Herrn« (Röm 14.8). Nichts kann aus Gott herausfallen; jedes Quark, jedes Atom bleibt bewahrt. Und auch wenn wir im Jenseits vielleicht nicht dieselbe Gestalt haben mögen wie jetzt, bedeutet dies nicht, dass wir verloren wären oder dass Gott verloren wäre. Die tiefe Verbundenheit wird andauern, was auch immer dafür die geeignete Art sein mag. Ohne allzu sehr in Spekulationen abzudriften, möchte ich dennoch sagen: Sicher ist, dass der Tod – im Zusammenhang mit jenem Tor vom Leben zu einem größeren Leben – das Vermeidenwollen beendet, er bereitet der Angst ein Ende.

Ich habe gerade wieder Der Tod des Iwan Iljitsch gelesen; ein Buch, das ich jedes Jahr lese, weil es eine so wunderbare Geschichte ist. Diese Novelle Tolstois handelt von einem Mann, der sein ganzes Leben wie eine Art »Generation-X-Existenz« zu leben versucht, wie ich es bezeichnen würde und womit ich meine: die »richtigen« Vorbilder, der »richtige« Job, die »richtigen« Freunde, die »richtige« Familie, die »richtige« Inneneinrichtung, der »richtige« nächste Karriereschritt… Und ganz plötzlich, im Alter von fünfundvierzig Jahren, wird er mit der Tatsache konfrontiert, dass er eine schreckliche Krankheit hat, die ihn von innen her auffrisst. Er ringt mit der Situation, quält sich, kämpft dagegen an und versucht, sich dem Tod zu widersetzen, bis es am Ende zu einem heftigen Aufschrei kommt, als er auf einmal erkennt, dass er den Tod bereits hinter sich gebracht hat. Und er sagt: »Wo war der Tod? Ah, da ist er.« Und: »Wo ist der Schmerz? Ah, dort ist er.« An ihrer statt herrschen Freude und Freiheit.

Und was das Vermeidenwollen betrifft: Die eine Sache, die wirklich stirbt, die einzige Sache, soweit ich das sehen kann, ist die Last, unser Ego-Selbst zu tragen und es für unser wahres Selbst zu halten.

Also [bleiben] Klarheit und Freiheit. Und in dem Maße, wie wir uns bereits selbst dazu gebracht haben, zu vertrauen und uns nicht zu widersetzen, in dem Maße werden wir von der außergewöhnlichsten Vertrautheit empfangen, die maßgeschneidert ist auf unser eigenes Befinden, auf unseren eigenen Zustand.

Es ist also kein Ende, vor dem wir uns fürchten sollten. Und falls wir verängstigt sind, ist es wirklich wichtig, dass wir uns Zeit nehmen und uns fragen, welcher Teil von uns Angst hat. Die Wüstenmönche pflegten zu sagen: »Begib dich in deine Zelle und bedenke die Stunde deines Todes.« Das ist alles andere als morbide; es gibt uns jeden Tag die Möglichkeit, in unserem Leben die Spreu vom Weizen zu trennen, auf dass wir uns durch die unwichtigen Dinge nicht so sehr ablenken lassen. Wir können uns ein bisschen besser auf das einstimmen, was überleben wird, wenn wir diesem Leben zugeneigt sind, wenn wir in diesem Leben nicht von der Spur abkommen – zumindest nicht für allzu lange. Die tiefste Sehnsucht des Herzens, die tiefste und wesentlichste Erkenntnis dessen, was uns auf diesem Planeten zu tun aufgetragen ist, die tiefste Liebe, die tiefste Freundschaft – keines von diesen Dingen wird sterben.

Ein Beispiel dafür ist mein geliebter Kollege Jim Finley, der die Erfahrung machte, einen geliebten Menschen in den Tod zu begleiten, und dabei entdeckte – und dies geschah bereits vor einem Vierteljahrhundert –, dass auch ein geliebter Mensch nicht weggenommen wird. Und Liebende, die gemeinsam spirituell gearbeitet haben, werden verblüfft sein, wie lebendig und persönlich der Austausch weitergehen wird.

Zu einem bestimmten Zeitpunkt, als ich selbst in Trauer war und wie Maria Magdalena sagte: »Ich vermisse dich, ich vermisse dein Wesen, ich vermisse deinen Körper, wo bist du?«, hieß es: »Dein Leben ist mein Körper!« Wow! Es geht darum, wie wir gelebt haben und wie wir fühlen, dass wir von einem geliebten Menschen begleitet wurden. Jeder Mensch hat einen Geliebten, eine Geliebte, etwas Geliebtes; es kann ein menschliches Wesen des Geschlechts deiner Wahl sein, es kann ein Elternteil sein, ein Kind und sogar ein Hund. Dort, wo es das Band der Liebe gibt, jene Qualität, die jenseits dessen liegt, was an das Ego gebunden ist, dort wird diese Qualität auch weiterhin schwingen.

Für jeden von uns wird die Stunde kommen, wenn wir auf das Sprungbrett steigen und springen werden. Die Arbeit besteht also darin, sich vorzubereiten, bevor die Zeit da ist, und sich mit diesem letzten Sprung vertraut zu machen.

Es gibt also wirklich nichts, wovor wir Angst haben müssen. Nochmals: Indem ich hier meine Arbeit erledige, während des Corona Virus, und versuche, mich auf das vorzubereiten, was vielleicht eintrifft, bleibt im Hintergrund die Tatsache, dass Menschen schon gestorben sind, lange bevor es dieses Virus gab. So viele meiner Freunde sind bereits gestorben. Und für jeden von uns wird die Stunde kommen, wenn wir auf das Sprungbrett steigen und springen werden. Bumps!

Die Arbeit besteht also darin, sich vorzubereiten, bevor die Zeit da ist, und sich mit diesem letzten Sprung vertraut zu machen. Sodass er nicht zu einer Unterbrechung wird, sondern zu einem wirklichen Tor und Durchgang. Thomas Keating, mein wunderbarer spiritueller Lehrer, sagte immer: »Wir alle sterben. Die Sache mit dem kontemplativen Leben ist einfach nur: Du beginnst damit bereits dreißig Jahre vor der Zeit.« Wenn dann der eigentliche Augenblick eintrifft, bist du bereit. Und du kannst dein Leben aufs Neue leben, mit dem Tod hinter dir – und das bedeutet: Freiheit.

Meine eigene kurze Zusammenfassung lautet also: dass wir unser Leben aus dem Herzen heraus leben sollten und in einer größeren Integrität. Der Tod erweist sich nicht als Unterbrechung der Identität. Nur wenn wir Katzengold hinterhergejagt haben, setzt dieses schreckliche Gefühl der Verwirrung für eine Zeit lang ein; aber auch das ist nur ein kurzer Durchgang.

Wer wir sind, wird in der Liebe Gottes gehalten, schon seit vor der Zeit. Und wenn wir uns jetzt ins Leben hineinlehnen und es auskosten, werden wir vorbereitet sein, den Tod wirklich als die Fülle des Seins zu begreifen und nicht als dessen Minderung.

© Cynthia Bourgeault 2020
Deutsche Übersetzung © Chalice Verlag

Weitere Informationen: www.cynthiabourgeault.org